Bietet Zocken mehr als „nur“ Spaß?
Vielleicht bringt uns unser liebstes Hobby auch im Leben weiter.
Richtiges Gaming für die breite Masse ist noch ein sehr junges Phänomen. So sind die ersten Computerspiele erst seit Mitte der Achtziger für die breite Masse zugänglich. Davor waren es eher technische Spielereien und Ausloten von technologischen Grenzen an Universitäten. Dementsprechend schlecht ist das breite Feld der Videospiele untersucht.
Dennoch: Könnte es nicht sein, das unser liebstes Hobby uns viel mehr bringt, als lediglich ein paar Stunden Spaß in der Rolle einer anderen Figur? Während der große Teil der Öffentlichkeit denkt, das Video „A Gamer’s Day“ spiegelt unseren täglichen Ablauf ab, möchte ich hier auf Basis von Studien zeigen, das es auch ganz anders geht – mit auch für mich überraschenden Ergebnissen.
Bessere Wertevorstellung?
Im März 2016 haben Frau Francis, Frau Comello und Frau Marshall an der North Carolina Universität in Chapel Hill untersucht, wie sich Videospiele auf Menschen auswirken, die an Krebs litten oder leiden. Es wurden nur Personen untersucht, die auch mindestens ein Mal pro Woche vor dem Computer oder der Konsole sitzen.
Es wurde untersucht, ob man die persönlichen Wertvorstellungen (darunter Weiterentwicklung, Konversationsvermögen und Selbstreflexion) bei den Patienten auch im realen Leben finden konnte. Dabei waren die häufigsten Antworten auf die eigene Wertvorstellung tatsächlich, Zeit mit Familie und Freunden zu verbringen, Beziehungen zu knüpfen, anderen zu helfen und Entspannung vom Alltag. Dazu möchte ich jetzt gerne das Statement von RTL hören, da wir ja alle nur komische und asoziale Vögel sind. Außerdem bestätigte der Großteil der Studienteilnehmer, dass die Spiele, die sie spielen, diese Wertevorstellung unterstützen – und das obwohl League of Legends eines der meistgenannten Spiele der Teilnehmer war. Auf die Frage, wie die Games ihre Werte hochhalten, stand das Knüpfen neuer sozialer und kultureller Kontakte ganz oben, gefolgt von dem Wunsch, andere Realitäten zu erfahren und anderen zu helfen.
Heißt das, Zocker sind die sozialeren und hilfsbereiteren Menschen? Nicht ganz, denn es kommt auf die eigene Auslegung an, so haben einige wenige der Patienten auch gesagt, die Spiele rauben ihnen die Zeit für Familie und Freunde. Dennoch: Die Möglichkeit über mehrere tausend Kilometer Unterschied miteinander Spaß zu haben, gab den Leuten das Gefühl, nicht völlig von ihrem sozialen Umfeld getrennt zu sein.
Insgesamt zeigt die Studie eine sehr deutliche Tendenz in Richtung sozialer Hilfe für Menschen, die an Krebs zu leiden hatten oder haben. So waren viele der Befragten glücklicher und entspannter, wenn sie während oder nach der Behandlung ihrer Krankheit gezockt haben. Nicht zuletzt gibt es dafür zwar keine direkte Erklärung, aber die Nebenwirkungen von Chemo- und Strahlungstherapie waren bei Zockern seltener zu sehen.
Entspannung auch schon durch kleine Spiele
Es müssen nicht immer völlig andere Welten sein, um uns zu entspannen. Manchmal reicht auch einfach die Tatsache, das die Regeln, die in unserer Welt gelten, außer Kraft gesetzt werden (Grand Theft Auto) oder wir uns stark konzentrieren müssen (Candy Crush Saga). So festgestellt von Professor Russoniello und ihrem Team, die eine Reihe von Patienten untersucht haben, welche unter Depressionen beziehungsweise extremen Stimmungsschwankungen litten. Die dazu genutzten Spiele waren Bejeweled 2, Bookworm Adventures und Peggle. Inwiefern das für euch als Spiel gilt, müsst ihr selbst entscheiden. Nichtsdestrotz haben diese drei kleinen, auf jedem Smartphone spielbaren Games einen durchaus bemerkenswerten Einfluss auf euren Körper und euren Geist.
Professor Russoniello und Kollegen haben nämlich herausbekommen, dass euer geistiges Stresslevel sinkt, nachdem ihr die Minigames zur Seite legt. So hat Bejeweled 2 depressives Verhalten gesenkt, während Peggle sogar in der Lage war, Personen mit Depressionen oder starken Stimmungsschwankungen in leicht euphorische Zustände zu versetzen. Aber weil das noch nicht genug Effekt ist: Sogar der Puls der untersuchten Personen hat sich während des Spielens in niedriger Frequenz stabilisiert. Aber Russoniello sagt auch, das es weitere Untersuchungen in Richtung stark depressiver Patienten, Autismus, Diabetes und Herzkrankheiten geben muss, um potenzielle unterstützende Faktoren bei der Behandlung solcher Krankheiten zu erkennen.
Schneller Denken durch RTS
Welcher Vergleich liegt näher, als der von Schach und Echtzeit-Strategie Spielen? Diese Idee hatten auch Professor Griffiths und zwei seiner Studenten – und wollten untersuchen, ob das organisierte und beschleunigte Denken, das Schachspieler an den Tag legen, auch bei Gamern zu finden ist. Diese Herren haben sich in Folge dieser Idee mit kompetitiven Spielen (u.a. StarCraft 2 und League of Legends) und deren Spielern beschäftigt – mit erstaunlichen Ergebnissen. Sie haben Anfänger, Fortgeschrittene und Profis in kompetitiven Spielen untersucht. Dabei wollen sie festgestellt haben, das Anfänger eben sehr langsam sind, Probleme mit der Organisation haben und auch nicht effektiv darin sind, die Taktik der Gegner auszukontern oder auch nur zu erkennen. Soweit nichts Neues. Allerdings haben sich Kurzzeitgedächtnis, Hand-Augen-Koordination, Strukturanalyse und Multi-Tasking Fähigkeit im Verhältnis zu nicht zockenden Menschen ziemlich schnell entwickelt (Hier wird leider kein Vergleich zu Sportlern oder Profisportlern gezogen). Das alles wurde noch mit einer schnelleren Problem-Lösungs-Findung garniert. Auch die Reaktionsgeschwindigkeit ist höher – was zusätzlich zu Griffith von Reeves belegt wurde. Da viele Games auch als Team gespielt werden müssen, konnten die Probanden dieser Spiele auch in sozialen Fähigkeiten erstaunlich positive Ergebnisse einfahren. Sie müssen, abgesehen von ihrer taktischen Absprache, dennoch in jeglicher Situation ihre Gegner und Teamkameraden lesen können, um schnell genug zu reagieren, was ein riesiges Maß an Empathie voraussetzt.
Am Ende der Studie betont Griffith sogar, das er hoffe, das Bild des antisozialen Nerds werde bald verschwinden, da Gamer meistens hilfsbereiter und Neuem gegenüber offen seien.
Ausbildung im virtuellen Raum
Kommen wir wieder zurück zur Medizin. Aus meinem eigenen Studium weiß ich, das wir nicht sofort auf Menschen losgelassen werden, sondern an Puppen erst ein mal üben müssen. Was richtig und wichtig ist, könnte bald in den virtuellen Raum verfrachtet werden. Die Ausbildungsmöglichkeiten, gerade bei Chirurgen, sind immens. Um Fehler zu vermeiden, ist ein hohes Maß an präzisem und handerwerklichem Geschick notwendig. Dieses kann man in einer ganzen Reihe von Simulatoren üben. Nein, damit ist natürlich nicht der Surgeon Simulator gemeint. Dr. Graafland hatte die Fähigkeit einiger Studenten mit einem Lapraskopie-Simulator (Bauchspiegelung) im Zusammenhang mit ihren Fähigkeiten in anderen Spielen (u.a. Half-Life, Super Monkey Ball,….) gestellt. Der Simulator hat dabei die Fehleranzahl und Geschwindigkeit der Studenten gemessen – diejenigen, die Half-Life gezockt haben, waren dabei schneller und haben weniger Fehler gemacht als ihre Mitstudenten und sich sogar zu ihren anfänglichen Punktzahlen im Simulator stark verbessert. Natürlich sind weitere Untersuchungen notwendig, aber wenn dadurch die medizinische Ausbildung mehr Spaß macht, warum nicht!?
Die Zukunft des Gamers
Auch wenn der Gamer in seiner natürlichen Umgebung immer noch als Nerd bezeichnet wird, sehe ich keinen Grund, warum das so bleiben muss. Natürlich sind oben genannte Dinge nur kognitive Faktoren – unseren Körper müssen wir trotzdem fit halten. Aber in Jobs, in denen insbesondere unsere geistige Fähigkeit gefragt wird, scheinen wir zu glänzen. Wenn das nächste Mal jemand zu euch sagt, zockt nicht so viel, habt ihr nun immerhin eine durch Studien unterlegte Ausrede.
Wie seht ihr das ganze? Steckt ihr in einem Beruf, wo euch euer Kopf mehr hilft als pure Muskelkraft? Könnt ihr das von den Studien belegte selbst nachempfinden? Oder ist das alles nur Humbug? Diskutiert mit uns in den Kommentaren!