TESTS

Marvel’s Spider-Man

Amazing! Ultimate! Superior?

Jan Markus Mäuer · 3. Oktober 2018

Kaum ein Charakter wird so sehr von der Videospielwelt geliebt wie Spider-Man. Spider-Man Videospiele existieren fast so lange wie das Medium selbst in über 30 Spielen für Atari Konsolen über Heimcomputer wie Amiga und C64 bis hin zu Pre-Smartphone Handyspielen, Gameboy Advance und jetzt, PlayStation 4. Und das allein wenn man Spiele mit Spidey als Protagonisten in Betracht zieht…
Und es ist kein Wunder: Spider-Man ist wie gemacht für die Gaming Welt, von seinen Superkräften hin zu seinem Charakter und seinen Erzfeinden. Doch wie es mit Adaptionen so ist, gibt es selbst in dem überdurchschnittlichen Portfolio dieses Superhelden viele Mängel, oft geschuldet durch kreative oder zeitliche Einschränkungen sowie engen Budgets, wie es halt leider oft bei Adaptionen ist.
Daher fast überfällig, dass Spider-Man, wie sein Fledermaus Kollege davor, endlich ein “definitives” Spiel bekommt, das lösgelöst von obrigen Hürden das beste abliefert, was es sein kann. Und ja, Marvel’s Spider-Man liefert das.

Aber das wusstet ihr vermutlich schon. Ich werde nicht vorgaukeln, dass dieser Test nicht etwas spät ist, jetzt wo dem Spiel nachgesagt wird, dass es schon jetzt der erfolgreichste PlayStation Exklusiv Titel aller Zeiten ist.
Daher fasse ich mich kurz mit dem üblichen Testbericht und konzentriere mich lieber darauf, was mich bei Marvel’s Spider-Man besonders beeindruckt…und was mich irgendwie enttäuscht hat.

Aber der Vollständigkeit halber: Ja, es ist der beste Spider-Man Titel bisher. Ja, besser als Spider-Man 2 für PS2 und co. (oder Ultimate Spider-Man, was ich persönlich besser fand). Das Schwingen durch New York (Manhattan hauptsächlich) ist fantastisch und gut ausbalanciert zwischen einem schnell mühelosen System und einem, dass ein wenig Finesse belohnt. Wie man es von Sony Exklusivtiteln gewohnt ist, ist es oft spektakulär cineastisch und konsistent eines der grafisch besten Titel für die PlayStation 4 (und darüber hinaus), nicht zuletzt dank fantastischen Lichteffekten, die sowohl Nahaufnahmen als auch weite Landschaften ins wortwörtlich beste Licht rücken.
Ein bisschen hin und hergerissen war ich mit dem Batman Arkham-esken Kampfsystem: Teilweise fühlt es sich ein wenig unflexibel an, dank Gegnern die nur durch bestimmt und teils monotone Aktionen erledigt werden können. Aber das wurde spätestens nahe der Hälfte des Spiels nachgebessert durch zusätzliche Fähigkeiten und Gadgets in Spidey’s Repertoire, die schnelles Improvisieren in Auseinandersetzungen belohnen. Einzig die Bosskämpfe verbleiben enttäuschend, wenn auch hübsch anzusehen.

Was jedoch besonders positiv bei dem Spiel für mich heraussticht ist die Story. Nicht notwendigerweise die Handlung des Spiels an sich, die erst in der zweiten Hälfte nennenswerte Entwicklungen mit sich bringt, sondern hauptsächlich in der Weise, wie Entwickler Insomniac die Charaktere exzellent darstellt und ein eigenes Spider-Man Universum schafft, dass das Quellmaterial besser versteht als die meisten anderen Adaptionen ausserhalb der Comics. Und damit meine ich nicht nur die Spiele, sondern auch die Filme, einschließlich “Homecoming”.
Klug von Insomniac war es hier vorallem, etwas weiterzudenken und sich damit auch von einigen üblichen Spider-Man Handlungselementen zu lösen. Marvel’s Spider-Man beginnt im achten Jahr von Peter Parkers Superhelden Karriere, und lässt damit nicht nur Schule und Uni hinter sich, sondern z.B. auch seinen Job als Daily Bugle Fotografen (genau wie J.Jonah Jameson, der hier nun ein Alex Jones artiger Live-Podcaster ist, aber Spider-Man wie eh und je liebt…HASST, ICH MEINE HASST!!). Stattdessen macht er (trotz anhaltenden Geldsorgen und zeitlichem Stress) Fortschritte in seinem zivilen Leben und scheint sein Doppelleben ganz gut im Griff zu haben, wenngleich auf Kosten seiner Beziehung mit Mary-Jane.
Natürlich hält das im Laufe des Spiels nicht lange an, aber so oder so liefert Insomniac (sowie Originalsprecher Yuri Lowenthal, der nur manchmal mit seiner Stimme verwirrend dran erinnert dass er auch Yosuke in Persona 4 war) einen großartigen und vielleicht auch definitiven Protagonisten, der natürlich mit Schwächen und Zweifeln zu kämpfen hat, aber dennoch den “Amazing” und den “Friendly Neighborhood” Spider-Man vollends verkörpert. Das selbe kann man auch über Parker’s Freunde sagen, von Mary-Jane über noch nicht Ultimate Spider-Man Miles Morales bis hin zu seiner Tante May, dankbarerweise hier mal weder halb-vergreist noch eine verspielte Umkehrung davon, sondern eine kompetente Frau im Rentenalter die hier als Sozialarbeiterin auf eine bodenständigere, realistischere Weise schier heldenhaft scheint.

Aber auch an Spider-Mans Feinde wurde gedacht. Okay, manche Charaktere wie Rhino, Vulture und Scorpion bleiben eher zweidimensional und zweitrangig. Aber das Spiel findet auch Emphatie und Menschlichkeit in Spider-Man’s Gegenspielern. Allen voran den…nennen wir es “Proto-Schurken” des Spiels: Norman Osborn, hier kein “Green Goblin” sondern angesehener Bürgermeister New Yorks ist selbstverliebt, ruchlos und missbraucht sein staatsdienliches Amt für private Interessen (kennt man ja im echten Leben so gar nicht). Aber dennoch geht Emphatie für ihn über einen schmierigen Charme hinaus und das Spiel zeigt ihn von einer sehr menschlichen Seite.
Doch ist es Peter Parker’s Noch-Nicht-Nemesis, mit dem Insomniac sich besonders und auch verdient selbstsicher zeigt: In diesem Spiel ist er noch Parkers bester Freund und man nimmt sich Zeit damit statt die offensichtlichen Erwartungen zu erfüllen. Konstant hängt die Bedrohung einer Tragödie über Szenen mit ihm und Parker, doch jeder Moment der ihn von einer symphatischen und freundschaftlichen Seite zeigt macht das hier vorrausgesetzte Wissen wie Alles endet umso herzzerreißender.

Alles in allem ist Marvel’s Spider-Man ein Meisterstück darin, wie man eine Adaption schreibt und einen eigenen Stempel draufsetzt.
Doch mit all dem Lob und dem Hype und den nicht widerlegbaren Qualitäten: Ist Marvel’s Spider-Man vielleicht nicht nur das beste Spider-Man Spiel, sondern auch das beste Superhelden Spiel aller Zeiten?

Hier muss man das Spiel an einem höheren Maßstab messen, und auch Ansprechen, wo es nicht vollends überzeugen kann.
Und hier wird es dann doch unübersehbar, wie erzkonservativ das Spiel im Grunde ist. Der Vergleich zu Spider-Man 2 und den Batman Arkham Spielen kommt nicht von ungefähr:
“Crowd Control” intensives Kampfsystem? Check. Stealth Segmente in denen man über seinen Gegnern thront, um diese nach und nach auszuschalten? Check. Verspielte Anspielungen auf die langjährige Geschichte des Comic-Charakters und “exotischeren” Feinden, die beiläufig erwähnt werden? Check. Nebenstory, in der ein Schurke ein langes, passives und sadistisches Spiel mit dem Protagonisten spielt? Check. Zufällige “Verbrechen” die man auf dem Weg zu etwas anderem löst? Check. Andere Nebenaufgaben die mehr die Fähigkeiten des Spielers testen als alles andere? Check. Eine lange halluzinatorische spielbare Szene, in der der Protagonist wortwörtlich gegen seine eigenen Dämonen kämpft? Check, aber sowas von.
Ich könnte weitermachen, aber zusammengefasst: So ziemlich nichts, was das Spiel zu bieten hat, ist wirklich einzigartig oder wenigstens ungewöhnlich. Die Chancen sind sehr hoch, das man alles schon einmal gesehen hat. Und so sehr es Spaß macht, sich rasant durch New York zu schwingen, so realisiert man mit der Zeit immer öfter, vorallem bei den Nebenaufgaben, wieviel Zeit man in dem Spiel damit verbringt recht eintönige und altbackende Aufgaben abzuhaken.

Und, in aller Fairness, das kommt weniger von einem Versagen des Entwicklers als von einfachen Erwartungen. Wie eingangs erwähnt: Spider-Man macht sehr viel Sinn in einem Videospiel Kontext. Die Formel, wie ein Spider-Man Spiel auszusehen hat, ist schon seit langem gefunden, und sieht einem sehr typischen Open-World Actionspiel sehr ähnlich. Sogar eine Mischung aus weltrettenden Hauptmissionen und geradezu banalen Nebenaufgaben passt gut in die vergleichsweise “normale” Art von Spider-Man.

Das Rad musste nicht neu erfunden werden, aber gleichzeitig ist eben auch kaum jemand von einem einfachen Rad wirklich beeindruckt. Das fällt in einem starken Kontrast zu eben der Batman Arkham Serie, die in vielen Aspekten mühevoll die richtige Formel für ein Batman Spiel finden musste…dabei aber eben auch die gesamte Industrie mit neuen Trends geprägt hat…und damit auch Marvel’s Spider-Man, dass sich mehr als nur ein wenig von der Pioniersarbeit borgt.
Zugegeben, das Spiel ist nicht ganz ohne eigene Ideen. Doch hier zeigt sich das Spiel gleichzeitig jedoch oft von seiner schwächsten Seite, zumindest spielerisch. So verbringt man eine überraschend lange Zeit in der Rolle von Peter Parker in-zivil, sowie MJ und Miles. Erzählerisch eine gute Idee, denn so lernt man mehr über die Charaktere und ihre eigenen Sichtweisen, und sieht die Welt des Spiels auch mal “auf dem Boden der Tatsachen” (höhö) von einer glaubwürdigeren, “normaleren” Perspektive. Dumm nur, dass die Schleicheinlagen, Minispiele und leichte Detektivarbeit, die man in diesen Szenen erledigt, allesamt ziemlich langweilig sind und keineswegs so aufpoliert wie der Rest des Spiels.
Zwar ist es schön, dass das Spiel auch mal Pause macht von dem konstanten Schwingen und Prügeln, aber am Ende dieser kurzen Unterbrechungen ist man dann doch froh, wieder zu genau dem zurückzukehren.