The Witness
Nach sieben Jahre in der Mache endlich fertig! Wir haben das Puzzlespiel getestet.
Es gibt sicherlich nicht viele Puzzle-Spiele, um die so ein großer Hype entstanden ist wie bei Jonathan Blows The Witness. Kaum verwunderlich, möchte man meinen, denn bereits Braid (2008), Blows erstes eigenes Werk, gilt bis heute als einer der besten und erfolgreichsten Independent-Titel. Indie, das bedeutete fortan nicht mehr bloß von Hobbyentwicklern für ein kleines Nischenpublikum programmiert, sondern es gab immer wieder Titel, die von den Produktionskosten und Einnahmen durchaus mit großen Studios mithalten konnten. Bereits kurz nach dem Release von Braid begann Blow mit der Entwicklung von The Witness, die knapp sieben Jahre dauern sollte. Ergänzt wurde sein Team unter anderem durch Eric A. Anderson, der bereits an dem Myst-Franchise gearbeitet hat, dessen Einfluss im ganzen Spiel merkbar ist. Da wir finden, dass jeder diesen Titel selbst erleben sollte, bleibt unser Test der PlayStation 4-Version weitestgehend spoilerfrei. Doch soviel sei verraten: Wer Spiele mit Hirn mag, der sollte unbedingt weiterlesen.
Eine Insel voller Rätsel
The Witness wirft den Spieler direkt ins Geschehen ohne weitere Erklärungen. Man wacht im Untergrund auf und findet vor sich eine Tür mit dem ersten Rätselpanel. Los geht es mit dem Zeichnen einer einfachen Linie, die von einem Punkt zu einem Endstück führt. Der Stromkreis schließt sich und der Weg öffnet sich. Sobald man ans Tageslicht kommt, wird einem bewusst, dass man sich auf einer isolierten Insel befindet, ganz so wie im ersten Myst (1993) von Cyan Worlds. Doch im Vergleich zu den damals populären vorgerenderten „Leinwänden“, die über Knotenpunkte verbunden waren, bietet The Witness natürlich genau wie Myst V: End of Ages eine zeitgemäße 360°-Bewegung. Die Insel selbst unterteilt sich in unterschiedliche Themengebiete, die man mehr oder weniger in beliebiger Reihenfolge durchqueren kann und in denen Blow und sein Team etwa 600 (!) verschiedene Puzzle versteckt haben. Keine Sorge, nicht alle davon muss und wird man wahrscheinlich im Spielverlauf lösen können. Im Übrigen sei angemerkt, dass The Witness nie als ein Spiel mit Story geplant gewesen ist und so gibt es bis auf Audiologs mit philosophischen Zitaten kaum Hinweise. Stattdessen kann es jeder, wie ein Kunstwerk, so interpretieren, wie es ihm beliebt.
Nachdenken zwingend erforderlich
Was einem Spiel ohne Story noch bleibt, ist natürlich das Gameplay und hier macht The Witness alles richtig, man könnte sogar fast sagen, dass es als Lehrbeispiel für hervorragendes Game-Design dienen kann. Zwar bestehen alle Rätsel vom Grundprinzip her aus der Aufgabe, eine Linie von einem Punkt zu einem Ausgang zu ziehen ohne diese zu kreuzen, aber es kommen in fast jedem Gebiet neue und überraschende Elemente hinzu, die die Komplexität erhöhen. Die meisten davon sind in der Form von Symbolen gegeben, aber auch Farben oder Geräusche können eine Rolle spielen. . Ohne Tutorials und Erklärungen ist der Spieler ganz auf sich allein gestellt und muss sich auf seine schärfste Waffe verlassen: seinen Verstand. Daher empfehlen wir jedem, der sich für das Spiel interessiert: Guckt keine Let’s Plays und lest keine Komplettlösungen! Die einzige Ausnahme stellen Hörbeeinträchtigte oder Spieler mit Farbsinnstörungen dar, denn sie müssen leider im Spielverlauf ein paar Puzzle auslassen. Es bleibt zu hoffen, dass hier noch nachgebessert wird. Wer es mit Brute Force-Methoden probieren will, dem sei gesagt, dass diese eigentlich bei fast jedem Rätsel ins Leere laufen werden. Der Hauptanreiz liegt darin, dass dem Spieler immer wieder neue Aufgaben gestellt werden. Fähigkeiten werden hier nicht durch Klicks pro Minute oder Erfahrungspunkte gemessen, es geht vielmehr darum, dass derjenige vor dem Bildschirm seinen geistigen Werkzeugsatz weiter ausbaut. Aber natürlich darf man auch immer mal wieder zu Stift und Schmierzettel greifen.
Eine brilliante Spielwelt
Auch in der Präsentation weiß The Witness zu gefallen. Die einzelnen Inselabschnitte sind abwechslungsreich und schwanken zwischen farbenfrohen Wäldern und Wiesen beziehungsweise verlassenen Ruinen, was einen Kontrast zwischen Mensch und Natur erschafft. Auch grafische Effekte wie Schattenwurf und Reflektionen sehen hervorragend aus und wurden sogar stellenweise mit ins Gameplay integriert. Besonders beachtenswert ist auch das Sound-Design, bei dem das Team hervorragende Arbeit geleistet hat. Ich würde dringend empfehlen, wenn möglich, für das Spiel Kopfhörer oder eine Surround-Anlage zu nutzen. Eine musikalische Untermalung ist quasi nicht gegeben, aber die Geräuschkulisse ist so immersiv und realistisch, dass sie alleine ausreicht, damit „Insel-Stimmung“ aufkommt. Alles in allem zeigt sich auf der audio-visuellen Ebene, wie viel Liebe und kleine Details mit in die Entwicklung geflossen sind und dass es sich nicht um einen einfachen Indie-Titel unter tausend anderen handelt.
Fazit
Am Ende bleibt nur noch zu sagen, dass nur sehr selten ein Spiel schaffte, mich so zu fesseln wie The Witness. Wenn man Logikpuzzlen auch nur im entferntesten etwas abgewinnen kann, ist es vermutlich der beste Titel, den man zurzeit auf dem Markt finden kann. Er nimmt eine simple Idee und schafft es trotzdem auch nach hunderten Rätseln immer noch zu überraschen. Fast jeder Abschnitt beginnt zunächst simpel und bringt ein neues Element, dessen Bedeutung es zu entschlüsseln gilt, mit sich. Die Lernkurve ist je nach Spielertyp mal steiler und mal weniger steil, aber irgendwann wird sich einem die richtige Lösung schon offenbaren, was mit einem riesigen Erfolgserlebnis einhergeht. Es gibt keine Action und kaum Story, stattdessen nur verdammt clevere Puzzle eingebettet in eine der schönsten Inseln, die die Gamingwelt je gesehen hat. Selbst wenn das nächste Team von Jonathan Blow und seinem Team wieder sieben Jahre braucht: Ich warte gerne.
The Witness ist digital bei Steam, dem Humble Store und im PlayStation Network für jeweils 35,99 Euro erhältlich. Aktuell wird über Portierungen zu OS X, Xbox One und Smartphones nachgedacht.