TESTS

Wolfenstein II: The New Colossus

Ein genauso namhafter wie brachialer Shooter, der nicht nur durch beeindruckende Optik, geniales Level-Design und nahezu makelloses Gameplay überzeugen kann, sondern als tragische Komödie auch nicht viele Konkurrenten um sich hat. Ein perfektes Spiel, wäre da nicht diese eine Sache…

Charles-Christopher Huppert · 14. November 2017

Die Story setzt kurz nach dem siegreichen Ende aus dem Vorgänger Wolfenstein: The New Order an. Die Folgen der schlussendlichen Bombardierung sind unter anderem, dass der altbekannte Protagonist William Joseph Blaszkowicz nun im Rollstuhl sitzt und nicht mehr ohne externe Hilfe stehen kann. B.J.’s tödliche Zielgenauigkeit sowie seine erbarmungslosen Nahkampffähigkeiten litten jedoch zum Glück in keinster Weise unter seinen Verletzungen. Umso unerfreulicher für das Regime, dass B.J. schon bald mithilfe moderner technischer Unterstützung wieder von selbst stehen, rennen und springen kann, mithin so tödlich wie eh und je ist. Moment…. „das Regime“? Achja, stimmt. Das war ja keine (rein) fiktive Organisation, die sich in den Köpfen der Story-Autoren das Ziel auf die Fahne geschrieben hat, die Welt zu regieren. Gemeint ist – wie auch bereits in den Vorgängern – das Deutsche Reich unter der nationalsozialistischen Herrschaft, das den Krieg nicht, wie tatsächlich, 1945 verlor, sondern nach wie vor regiert. Und das nicht nur in Europa, sondern auch die fast gänzlich zerstörten Gebiete, die man einst USA nannte, sehen in den 1960ern dem Wiederaufbau unter nationalsozialistischer Führung entgegen. Mehr als diese Grundzüge möchte ich von der Geschichte jedoch nicht verraten. Sie ist es wahrlich wert, sich selbst erzählen zu dürfen.

So hätte es auch laufen können…äh, ja

Das Leveldesign ist meist eine Mischung aus Dungeon und Schlauch, was aber deutlich besser funktioniert als es klingt: Die Wege sind regelmäßig verschachtelt, bieten stets diverse Möglichkeiten, euren Angriff zu planen. Auch in The New Colossus könnt ihr nahezu alle Gegner still und schleichend oder laut und mit offenem Feuer plattmachen. Auch wenn diese Entscheidung eurem Gusto überlassen bleibt, sollte sie wohlbedacht gefällt werden. Denn die Offiziere (und nur diese) können Verstärkung rufen, sofern ihnen bekannt ist, dass sich Widerstandskämpfer in der Nähe befinden – was im offenen Gefecht regelmäßig der Fall ist. Der wenig überraschende Tipp: Erst die Offiziere still ausschalten, der Rest bleibt dann ohne unvorhergesehene Konsequenzen. Nur in wenigen Abschnitten des Spiels seid ihr absolut gezwungen, Gegner zu erschießen. Von eurem Hauptquartier aus, dem U-Boot namens Hammerfaust, könnt ihr in die nächste Mission einsteigen, aber auch diverse Nebenaufgaben erfüllen. Beispielsweise das Füttern eines fast zum Tode verurteilten Schweines. Aber dies ist bei weitem nicht alles, was ihr auf der Hammerfaust anstellen könnt. Neben zahlreichen sammelbaren Gegenständen (Briefe, Zeitungen, Karten, Vinyls mit echten Liedern et cetera), die ihr auch in den mit Gegnern gespickten Umgebungen findet, könnt ihr am Automaten eure Zeit auch mit Wolfenstein 3D aus dem Jahre 1992 vertreiben.

Die amerikanischen Bewohner Roswells sind nun entweder nur regimefreundlich oder sogar im Ku-Klux-Klan aktiv

Am Gameplay hat sich nichts verändert. Aus der Ego-Perspektive schauend, wird euch ein Arsenal an bekannten wie futuristischen Waffen an die Hand (oder durch Akimbo-Modus auch an die Hände) gegeben, mit denen ihr euch neben Fußsoldaten ebenso gigantischen Bossen entgegenstellt. Letztere werden übrigens durch passende Musikeinlagen unglaublich stark präsentiert. Ihr solltet euch jedoch gut überlegen, welchen der sieben (zu Beginn sechs) Schwierigkeitsgrade ihr wählt, denn selbst auf einem leichten ist das Spiel auch für erfahrene Gamer kein kinderleichter Durchgang. Aber überhaupt läuft das Spiel auch auf der alten 2013er-PlayStation 4 unglaublich flüssig und die Waffen wirken durch die Bank weg brachial und gewaltig. Umso besser, dass ihr diese auch noch aufwerten könnt, indem sich zusätzliche Erweiterungen wie zum Beispiel ein Zielfernrohr oder schon vor Abschuss erhitzte Projektile hinzufügen, aber auch wieder entfernen lassen. Dies ermöglicht euch, die unterschiedlichen Gefechtssituationen passend anzugehen und erfolgreicher für euch gestalten zu können. Einen klassischen Skill-Tree gibt es nicht. Dieser wird ersetzt durch ein System, durch welches ihr gemäß euren wiederholt genutzten Handlungen im Level aufsteigt, eure Fähigkeiten quasi im Wege des Erlernens verbessert.

Volle Power mit einer schweren Laserwaffe auf einen vollgepanzerten Regime-Anhänger

Die Grafik ist absolut auf dem Stand der Zeit und besticht nicht selten mit Detailreichtum und atmosphärischer Beleuchtung. Es gibt unterschiedliche Gebiete, die allesamt toll aussehen. Sei es das Hauptquartier Hammerfaust oder eine zerstörte Ruinenstadt, die ehemals New York hieß, nun Neu York genannt wird. Und wenn der Spieler L2 gedrückt hält während er eine schwere Waffe in den Händen trägt, mutet das sprudelnde Feuer oder der blitzende Laser, der aus einer solchen Waffe herausdringt, schon vor Abfeuerung der Munition ziemlich angsteinflößend an.

Die Atmosphäre ist meiner Meinung nach das, was ein jedes Videospiel in seinen Grundfesten ausmacht. Was ihm seinen Charakter verleiht. Diese ist oftmals der Hauptgrund, warum man sich gut und gerne an die mit einem bestimmten Spiel verbrachte Zeit zurückerinnert. Und die Atmosphäre ist in Wolfenstein 2: The New Colossus einerseits so stark wie in keinem Story-Shooter mehr seit BioShock: Infinite. Andererseits stellt sie auch den größten Kritikpunkt des Spiels dar. Nicht weil sie an vielen Stellen des Spiels schlechter wäre als an anderen. Nein. Es liegt am anfangs bereits erwähnten „Regime“. Die Tatsache, dass nicht ganz fernliegende, aber dennoch in diesem Kontext kaum bis gar nicht genutzte Ersatzwörter für eine – gerade für uns – sehr bekannte Zeit (1933 – 1945) benutzt werden, nimmt dem Spiel das größte Stück an bedrückender Atmosphäre, welche das Spiel eigentlich in überragend starker Art und Weiser transportieren kann. Es macht einfach einen gewaltigen Unterschied, ob in der amerikanischen Stadt Roswell überall die Banner mit Hakenkreuzen an den Hauswänden herunterhängen oder ob anstelle von NS-Symbolik irgendwelche Dreiecke benutzt werden. Es macht noch einen viel größeren Unterschied, ob man den inzwischen betagten Adolf Hitler, wenn er erstmals in Erscheinung tritt, mit seinem charakteristischen Bart sieht oder ob er diesen von Bethesda vorher abrasiert bekommen hat. Wenn er dann nicht nur „Der Kanzler“, sondern auch noch „Herr Heiler“ genannt wird, schießt die facepalm-Quote der Leute am Controller wohl in unbekannte Höhen. Dabei geht es auch nicht um das stumpfe Verlangen, Adolf Hitler und Hakenkreuze zu Gesicht zu bekommen oder um das Argument, dass das Spiel sowieso schon durch die in jeder Hinsicht unverblümte Gewaltdarstellung so brutal sei, dass bloße Symbolik nicht mehr ins Gewicht falle. Es geht vielmehr um eine Immersion, die das Spiel zu schaffen hat. Der Mensch am Controller soll und muss sich unwohl fühlen, wenn er die von Nationalsozialisten besetzten USA mit der Spielfigur durchquert. Genauso wie er sich unwohl fühlt, wenn er die Kaltblütigkeit „des Regimes“ filterlos mit ansehen muss. Diese Entscheidung kann auch nicht damit gerechtfertigt werden, dass dies faktisch keine Entscheidung des Publishers sei. Denn das ist es. Bethesda – und viele andere Publisher ebenso – entscheiden sich bewusst gegen das Risiko, dem § 86 und § 86a StGB zuwider zu handeln und verzichten auf eine Darstellung verfassungsfeindlicher Symbolik. Diese Entscheidung hat dann leider zur Folge, dass der letzte Schritt zu einem perfekten Spiel – zumindest hier in Deutschland sowie in Österreich – nicht gemacht wird. Die deutsche Synchronisation ist im Übrigen, wenn auch ganz selten mal nicht lippensynchron, wirklich überdurchschnittlich gut und stellt keinen Nachteil in Sachen Atmosphäre dar.