SPECIALS

Cyclemania – „Fotorealismus“ anno 1994

Nicht jede Innovation ist erfolgreich…oder eine gute Idee

Jan Markus Mäuer · 21. April 2019

1994 war ein Jahr des Umbruchs im Videospiel-Bereich. Es war nicht unbedingt ein Jahr von massiven Technischen Innovationen: Das Vorjahr veränderte die Gaming Landschaft mit Spielen wie Doom, Myst und Virtua Fighter, Vorreiter in Sachen 3D, dessen massiver Einfluss in kaum einem anderen Jahr so geballt zu sehen war. Aber es war ein Jahr voller großer, ambitionierter Projekte, die neue und altbekannte Technik auf ihr äußerstes ausreizen, um…hoffentlich…legendäre und zeitlose Spiele zu schaffen.

Und davon gab es ’94 einige: Super Metroid, für viele eines der besten Videospiele aller Zeiten. Ähnliches wird oft über TIE Fighter und Final Fantasy VI gesagt. Donkey Kong Country beeindruckte Konsolenspieler mit fantastischen vorgerenderten Grafiken, während Jazz Jackrabbit ein Jump’n’Run in Konsolenqualität auf den PC brachte. Mit Need For Speed, Warcraft und System Shock starteten erfolgreiche Franchises, die über die Jahre zu gigantischen Industriegrößen gewachsen sind. Und mit Wing Commander III sah die Spielewelt mithilfe von den Multimedia-Kapazitäten der CD-ROM einen Blockbuster in…nun ja, Hollywood Blockbuster Qualität dank bekannter Filmdarsteller, die die Hauptcharaktere in FMV (Full Motion Video) Zwischensequenzen spielten. Das wird gleich wichtig.

Aber nicht jedes Spiel schreibt Geschichte, unabhängig von den Ambitionen. Bestes Beispiel für 1994 war das Beat ‚em Up Rise of the Robots, ein massiv gehypter Titel, der sich als legendärer Flop herausstellte.

Aber ich möchte über keines dieser Spiele reden. Heute möchte ich über ein Spiel reden, das vermutlich nie großen Hype hinter sich hatte und nicht zu unrecht bis heute fast komplett vergessen ist…und das nicht zu Unrecht. Gleichzeitig ist es jedoch ein Spiel, das in dieser Form wahrscheinlich nur 1994 hätte existieren können: Cyclemania.

Wie bereits angedeutet, waren CD-ROMs und Full Motion Video wichtige technische Innovationen und absolute Trends, vor allem bei den schon damals technik-hungrigen PC-Spielern.

Und während zweiteres von Entwicklern zumeist genutzt wurde, um den Fieberträumen des “interaktiven Spielfilms” hinterherzurennen oder durch vorgerenderte Videos Spiele in der Werbung besser aussehen zu lassen, als sie es tatsächlich waren, hatte Cyclemania eine andere Idee.

Rein spielerisch betrachtet ist Cyclemania vom israelischen Studio Compro Games und Accolade (dem Publisher von Qualitätsgaranten wie Test Drive und…ääh…Bubsy?) ein Motorrad-Rennspiel, wie man es schon oft zuvor in Spielen wie Road Rash oder Super Hang-On gesehen hatte. Statt auf neuer (und unbewiesener) 3D-Technik setzt man auch hier auf Pseudo-3D mit Sprites und cleveren Scaling Techniken, um die Illusion von Dreidimensionalität zu schaffen.

Was jedoch die Strecke bzw. die Hintergründe angeht, setzt man auf ECHTE (™) Videoaufnahmen.

Zugegeben, die Nutzung von FMVs in Rennspielen ist nicht komplett einzigartig für Cyclemania. Andere Spiele haben Videofilmchen ähnlich integriert. Abgesehen davon, dass diverse Spiele, wie das bereits erwähnte Road Rash für 3DO, Saturn und PlayStation 1, genau wie manche Fassungen des allerersten Need For Speed, Realfilm-Zwischensequenzen hatten. Und dann wäre da noch die MegaRace Reihe, die tatsächlich vorgerendete Videos für ihre Strecken verwendet, für einen manchmal etwas plumpen, aber doch überraschend einheitlichen Effekt.

Doch Cyclemania ging eben noch einen Schritt weiter und so finden wir hier echte abgefilmte Straßen.

Und das funktioniert…besser als man denkt, schlechter als man hofft? Die Aufnahmen selber sind gut gemacht und leisten gute Arbeit darin, mit recht wenigen Wacklern das Bild zentriert zu halten und außerhalb der langsamsten Geschwindigkeiten das Video auf eine recht überzeugende Weise zu beschleunigen und zu verlangsamen. Aber wie es oft Mitte der 90er war, ist das Video rein von der technischen Implementation doch eher Müll. Die Auflösung des Videos ist erbärmlich, trotz der Tatsache, dass nur die Hälfte des 640×480 Bildes dafür genutzt wird. Wie man es von anderen FMV-Spielen kennt, ist der Rest für ein gigantisches HUD reserviert – in dem Fall das Armaturenbrett eines Motorrads. Spielt man es im SVGA-Modus, wird das ganze nochmal verschlimmbessert: Dann ist das gesamte Bild des Spiels auf die Mitte des Monitors, umgeben von überdimensionierten Streckenkarten, die jetzt nicht so viel bringen, geschrumpft.

Abgesehen davon ist die Qualität der 2D-Assets ebenfalls eher durchschnittlich. Und vor/in dem verwaschenen Video wirken die sehr bunten Rennfahrer und Hindernisse auffällig künstlich.

Aber wie spielt es sich?

Eh….meh.

Die Steuerung lässt zu wünschen übrig, was durchaus frustriert, wenn man anderen Verkehrsteilnehmern, Ölspuren und einem etwas exzessivem Anteil an Reifenstapeln mitten auf der Straße und Wildwechsel in Form von…Kühen und Pferden ausweichen will. Hrm.

Immerhin ist das Geschwindigkeitsgefühl ganz gut. Und es gibt einen recht langen “Championship”-Modus, bei dem man auch sein Motorrad aufmotzen kann. Auch wenn nur das Motor-Upgrade wirklich einen nennenswerten Unterschied bringt. Hrm.

Und dann nerven außerhalb des eigentlichen Spiels die FMV-Videos doch recht schnell. Während sich die mäßig unterhaltsamen echten Motorrad-Crash-Videos, die nach In-Game Kollisionen spielen, noch abschalten lassen, wird man anderswo mit selbst für damalige Verhältnisse potthässlichen vorgerenderten Computeranimationen genervt. All das wird auf die Spitze getrieben, wenn man außerhalb des Championship-Modus eine Strecke wählen möchte, mit dem unnötigsten und dümmsten Auswahlmenü, das ich diesbezüglich je gesehen habe (siehe Titelbild: ja, das ist die Streckenauswahl).

Und es ist nicht so, dass man damals positiver auf das Spiel reagiert hätte. Während die PC Joker Cyclemania “ein launiges Motorradspielchen” nannte und aus unerfindlichen Gründen das realistische Fahrfeeling lobte, bezeichnete die PC Player die Steuerung als “schwammig” und die PC Games riet Bikern: “weiterhin auf den nächsten Frühling warten und die verbleibende Zeit zur ausgedehnten Pflege ihres Heiligtums nützen…”. Und dann gab es noch die Power Play, die sich besonders unbeeindruckt zeigte: “Und zum anderen muß man sich die Frage stellen, warum das ganze Spiel digitalisiert werden mußte. Aus Gründen des Realismus kann es schon mal nicht sein. Die Sprites und ihre Farben wie auch der Hintergrund sind so verwaschen, daß das Hinschauen schon nach kurzer Zeit kaum noch Spaß macht. So ist Cyclemania ein überaus langweiliges Rennen geworden, wo bis auf das Ausweichen und Gasgeben nicht viel passiert.”

Also ja: Cyclemania ist ein bestenfalls mittelmäßiges Spiel aus einer Zeit, wo der Anspruch für Mittelmaß weit geringer war. Es ist kein überbewerteter Klassiker und kein missverstandener Geheimtipp.

Also warum viele Worte drüber verlieren? In aller Ehrlichkeit weiß ich das auch nicht so genau.

Aber auch wenn ich mich in Jugendjahren mehr mit Rennspielen wie Need For Speed, Indycar Racing und Formula One Grand Prix als mit Cyclemania,
vergnügt habe, ist mir das Spiel immer in Erinnerung geblieben.

Vielleicht weil es so anders oder weil die Andersartigkeit so symbolisch für die “frühe CD-Rom Ära” der Computerspiele (“Hauptsache Multimedia” wäre ein guter Slogan) ist.

Vielleicht weil’s auch ein Trendsetter hätte werden können, aber eben keiner wurde. Rennspiele mit Realfilm-Videos als Strecken. Da fragt man sich doch, wie andere Spiele solcher Art hätten aussehen können.

Und ich mein, mit Spielen wie Her Story, Contradiction und Late Night hatte der “interaktive Film”, ebenfalls ein einstiges Relikt der Ära, ein kleines Comeback. Vielleicht wäre ein moderner Versuch eines neuen Cyclemania heutzutage interessant.

Dann wiederum, wahrscheinlich eher nicht.

(Screenshots von MobyGames.com)