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Filmkritik – #Play

Verloren in der goldenen Pupswolke der Spielesucht

Jan Markus Mäuer · 23. September 2019

Okay.

Okay, Okay, Okay. Angesichts dessen das wir hier auf einer Videospielsymphatisanten-Seite sind und das ich den Film weniger aus aktivem Interesse sondern mehr aufgrund meiner Hass-Liebe zu extremistisch beschissenen Filmen gesehen habe, kann man mir Befangenheit unterstellen. Wirft man mir vor, #Play mit der “falschen Einstellung” gesehen zu haben, okay.

Aber was das Thema des Films angeht, (Video/Computer)Spielesucht, zuletzt nicht ganz unkontrovers von der W.H.O. medizinisch anerkannt, habe ich nicht ganz so viele vorbelastende Gräuel. Ob medizinisch nachweisbar oder nicht, von Videospielen kann man süchtig werden (Erkenntnis des Jahres hier) wie von so vielen anderen Dingen auch und was das angeht, gibt es auch einen dringenden Bedarf auf die problematische Natur der Spiele selbst einzugehen, insbesondere mit modernen “Games as a Service” Methoden, Online Komponenten und Lootboxen…äh, “Überraschungsmechaniken” die vorsätzlich Kunden so lange wie möglich ans Produkt binden wollen und selbst mit psychologischer Trickserei Suchtverhalten womöglich fördern wollen, oder zumindest fahrlässig zulassen.

Kann man bestimmt auch einen interessanten oder wichtigen Film draus machen, aber die ARD, Zeit ihres Lebens skeptisch mit modernen “post-fernseh” Medien (ich frage mich warum!), disqualifiziert sich hier mit #Play. Ein Film der an jeder Ecke Möglichkeiten offen lässt sich intelligent mit dem Thema zu beschäftigen, aber scheinbar grundsätzlich genau in die Falsche Richtung läuft.

Bild: ARD Degeto/BR / Alexander Fischerkoesen

Um die Prämisse kurz zu erklären: Die 17 jährige Jennifer hat einen Haufen üblicher Teenie Mädchen Probleme: Nicht super sozial, ein tragisch geringes Selbstwertgefühl, insbesondere was ihr Äußeres angeht (der Mitt-80er Vokuhila Haarschnitt den die Maske ihr aufgezwungen hat hilft da auch nicht) und ein Pulverfass von Emotionen und langsam erblühender Sexualität. Das sie kürzlich mit ihren Eltern von Wuppertal nach Münschen gezogen ist und ihren sozialen Kreis dort mehr oder minder verloren hat, tut sein Übriges. Aber sie spielt halt auch gern am Computer, und als sie ein Virtual Reality MMO namens “Avalonia” für sich entdeckt, geht es in eine Abwärtsspirale.

Man könnte hier an vielen Dingen ansetzen, die Computerspiel Sucht zu einem Problem machen.
Jennifer könnte einen Berg von Schulden anhäufen dank Abokosten und “Mikrotransaktionen”. Aber das scheint kein Problem zu sein, die Familie ist wohlhabend genug das Jennifer sich spontan ein VR Headset anschafft (inklusive alberner LED Beleuchtung und “Datenhandschuhen”, denn es ist ja nicht so als gäb es inzwischen ausreichend echte Virtual Reality Headsets die man hätte nehmen können).
Jennifer könnte sich durch das Spiel sozial isolieren und ihre Beziehungen mit anderen Menschen riskieren. Aber es wird schon etabliert das sie da schon vorher nicht viele hat und zum besseren oder schlechteren trifft sie im Spiel mehr oder weniger sofort einen Kerl der zufällig direkt in der Nähe wohnt und sie zu semi-harmlosen Treffen in der Öffentlichkeit einlädt was zu einer kleinen Liebesbeziehung führt.
Jennifer könnte exzessiv viel Zeit im Spiel verbringen auf Kosten ihrer eigenen Gesundheit…aber das passiert erst kurz vor Ende des Films auf einem wirklich problematischen Level. Und dank der nicht-so-recht-authentischen VR Welt, mit der man aber in so einem Film visuell ein bisschen mehr rausholen kann als stundenlanges Anstarren von einem Bildschirm ist Fitness jetzt auch nicht das Problem.

Also geht es im Film schlussendlich um das üblichste, klischeehafteste Problem auf das man kommen kann, Jennifer verliert “sich selbst” und den Bezug zur Realität durch das Spiel.

Bild: ARD Degeto

Ich bin nicht qualifiziert da psychatrisch erfahrene Aussagen zu machen wie problematisch so eine Sache in Wirklichkeit ist, aber ich habe ernste Zweifel. Und Erinnerung an andere Panikmache-Filmchen wie den notorisch absurden TV Film Klassiker “Mazes and Monsters” (Labyrinth der Monster), in dem sich ein noch unerfahrener Tom Hanks in der Welt der P&P Rollenspiele verliert und besorgten Eltern in den frühen 80ern mit absurden Schlussfolgerungen Angst machte.

(Der Film ist recht einfach im Internet zu finden und sehr viel unterhaltsamer als #Play, wenngleich minimum genauso dumm)

Wie angedeutet, hat der Film dennoch Ansätze potenziell interessante Probleme anzusprechen, aber wie ebenfalls angedeutet, versagt der Film dort auf ganzer Linie.
Mit Ausnahme ihrer angesprochenen psychologischen Vorbelastungen ist Protagonistin Jennifer ein recht charakterloses Wesen und außerhalb von bedeutungsschweren adoleszenten Monologen erfährt man nicht sehr viel über die Protagonistin, ausser das sie Computerspiele mag, gerne im Wald rumhängt, auf Masturbation steht (ich weiß auch nicht) und anscheinend keine Filme guckt, was irgendwie wichtig ist? (Vielleicht sollte Jennifer weniger vor dem Computer hängen und mehr ARD gucken)

Nebenbei bemerkt, die Inszenierung des fatalen Online-Rollenspiels “Avalonia” selbst ist…zugegebenermaßen habe ich schon schlimmeres gesehen. Die “In Game” Szenen sind visuell authentisch in Szene gesetzt und haben zumindest ein paar realistische Anspielungen. Doch dafür, dass Regisseur und Co-Autor Philip Koch angeblich Erfahrungen mit aktuellen Spielen hat, konnte er sich nicht den üblichen Klischees entziehen, die man in fiktionalen Videospielen in Filmen oft sieht. Zum Beispiel das aus unerfindlichen Gründen alle Spieler todernst der Spielwelt gegenüber zu sein scheinen und entsprechend so reden als wären sie “Herr der Ringe” LARPer.

Bild: ARD Degeto

Richtig grauenvoll wird der Film jedoch, wenn es um Jennifers Eltern geht. Hier wollte man wohl durchaus Nobel versuchen, diese als “modernes” Ehepaar darzustellen, die einfach nur die Probleme ihrer spielsüchtigen Tochter nicht verstehen und nicht korrekt damit umgehen können. Aber da der Film selbst erschreckend wenig daran interessiert ist, die Spielsucht als ein Symptom für komplexere Probleme der Figur zu sehen, scheitert der Film hier so hart, dass die Eltern fast schon bösartig emotional manipulativ daherkommen.
So eskalieren die nutzlosen Verbote schnell: In einer Szene machen beide die Tochter und ihr Computerspiel dafür verantwortlich, dass das Haus chaotisch aussieht und die Hauskatze entlaufen ist, obwohl die Protagonistin offensichtlich die ganze Zeit in ihrem Zimmer “gedaddelt” hat (hat die Katze die Wohnung verwüstet? Haben die Eltern einen Saustall hinterlassen den die Tochter aufzuräumen hatte? Ich bin verwirrt).
In einer anderen Szene erwischt die Mutter, während sie nachts heimlich raucht (ein Zugeständnis das ein jeder seine Laster hat, auf das jedoch dann nicht mehr weiter eingegangen wird) die Tochter beim Spielen und “”deeskaliert”” das Problem in dem sie hysterisch in das Zimmer ihres Kind stürmt und schreiend versucht, den Computer vom Strom zu ziehen. Als dies darin endet, dass die Mutter im Handgemenge stürzt und sich den Kopf am Schreibtisch stößt, ist das die alleinige Schuld von Jennifer und ihrer sinistren Sucht.
Selbst in emphatischen Momenten scheinen die Eltern ungewillt, wirklich auf ihre Tochter einzugehen, und reden stattdessen weiter auf sie ein, das sie süchtig sei und doch professionelle Hilfe bräuchte, weil Mama und Papa nicht mehr helfen können (nicht das man gesehen hätte dass sie das auf eine andere Weise versucht hätten, als den Computer wegzunehmen und das Internet abzustellen).
Dass die Eltern aus Ihren eigenen erzieherischen Fehlern lernen oder gar selbst über ihre eigenen Verhaltensweisen reflektieren, sieht man nicht. Film und Figuren scheinen sich einig, dass das böse Computerspiel der Anfang und das Ende aller Probleme sind.

Entsprechend eskaliert das Ganze in einem gleichzeitig absurden aber auch langweilig vorhersehbarem Ende, dass jedwede Authentizität aus dem Fenster schmeißt. Und sei dies nicht genug, endet der Film in einer bizarren pseudo-metaphorischen Ambivalenz (obwohl Flash Forwards zumindest etablieren, das Jennifer schlussendlich bei einer sehr inkompetenten Therapeutin in einer Psychatrie oder so landet), in der der Regisseur das mittelmäßige Budget für einen Anfall von Auteur-ismus nutzt um Jennifers Selbstbild in einer goldenen Furzwolke verschwinden zu lassen. Cut zum Abspann. Uff.

Bild: ARD Degeto/BR / Alexander Fischerkoesen

Anderswo liest man Lobeshymnen an den scheinbar ambitionierten ARD Film. Zumindest die Frankfurter Rundschau und die Süddeutsche Zeitung finden Qualität. Ich weiß nicht woher.
Gut, die Schauspieler, zumindest Emma Bading, Oliver Masucci und Victoria Mayer holen schätze ich das beste heraus was das Drehbuch hergibt. In der Inszenierung ist der Film üblich solides TV Mittelmaß, dass jedoch im Falle von größeren Ambitionen schwächelt. Und das Drehbuch ist grauenvolle Panikmache, statt einer realitätsnahen oder differenzierten Auseinandersetzung mit Computerspielsucht in seinen Ursachen oder Auswirkungen. Das anstrengend überzeichnete Ende unterstreicht nur, wie sehr sich der Film wie Zeitverschwendung anfühlt.

Wer dennoch interessiert sein sollte, der kann, öffentlich rechtlicher Mediathek sei dank, den ursprünglich am 11.09.2019 ausgestrahlten Film bis zum September 2020 online direkt bei ARD anschauen.

Oder halt lieber nach “Mazes & Monsters” Ausschau halten.