TESTS

Blood & Truth

Popcorn-Kopfkino

Jan Markus Mäuer · 17. Juli 2019

Als PlayStation VR Besitzer lebt man mit vielen Erwartungen…mit Betonung auf Warten. Gut jedoch ist, dass das Warten generell belohnt und Erwartungen generell erfüllt werden. Mit genug Wartezeit bekam PSVR einige gute (zeit-)exklusive Spiele wie Moss, Skyrim VR und Resident Evil VII, Fan Favoriten wie Beat Saber und SUPERHOT bekamen eventuell Portierungen, und ab und zu ist auch Sony selbst gewillt First Party Titel exklusiv für ihre VR Plattform zu machen.

Das Highlight war dabei sicherlich das letztjährige AstroBot Rescue Mission. Nachdem die kostenlose PSVR Spielekiste Playroom VR mit “Robot Rescue” ein überraschend beliebtes Konzept für ein 3D Jump & Run in Virtual Reality ablieferte, dass selbst vollwertige Spiele in dem Genre übertrumpfte (Sorry, Lucky’s Tale), hörte man auf die Fans und brachte mit “AstroBot” eine Vollversion davon, die nicht zu unrecht von vielen als “Virtual Reality’s Mario 64” bezeichnet wurde.

Dieses Jahr versucht man es mit der anderen bekannt-beliebten PlayStation VR Demo. Seit den Anfängen von PSVR machte “The London Heist” die Runde, ein 20 minütiges Spiel mit einer Handvoll interaktiver Cutscenes und ein paar Actionszenen mit einem hohen Detailgrad und überzeugender Grafik. Die breitere Käuferschicht konnte sich dies dann nach Release des Headsets mit der etwas überteuerten VR-Demonstration PlayStation VR Worlds zu Gemüte führen, und spätestens dann wurde unausweichlich, was jetzt mit dem etwas seltsamen Namen “Blood & Truth” in den Läden steht.

Wie “London Heist” zuvor, ist Blood & Truth ein storyintensiver Shooter im Londoner Klein- bis Mittelstandsgangster Setting, ähnlich der filmischen Frühwerke von Guy Ritchie wie Snatch.
Als britischer Spezialeinheits-Soldat Ryan Marks wird man nach einem explosiven Tutorial Level zurück ins heimische London geholt, weil Ryans Vater verstorben ist. Doch da dieser nicht nur ein einflussreicher Konzernbesitzer, sondern auch ein mächtiger Gangsterboss war, entsteht ein Vakuum, das eine andere Gangsterfamilie, die Sharps, schnell per “feindlicher Übernahme” füllen wollen. Das kann Ryan offensichtlich nicht einfach so hinnehmen.

Blood & Truth hat einen sehr intensiven Storyfokus mit langen, semi-interaktiven Dialogszenen (Cutscenes kann man es nicht wirklich nennen), doch leider wird die Handlung des Spiels diesem Fokus nicht gerecht. Die fast schon absurd dick aufgetragenen Akzente (im O-Ton zumindest) und gelegentliche humorvolle Situationen in Richtung der eindeutigen Gangsterkomödien-Vorlagen helfen ein wenig, doch bleibt die Handlung weitestgehend uninteressant und schafft es nicht ganz, das Feeling eines Kleingangster-Epos einzufangen, vorallem da die von der Spielerischen Seite erzwungenen hunderten Toten und eher James Bond-eske Setpieces nicht so recht da reinpassen.

In gewisser Weise scheint sich das Spiel dem selbst bewusst zu sein, denn obwohl man minutenlange Szenen hat wo man einfach nur diversen Charakteren zuhört, werden anderswo Aspekte der Handlung gefühlt übersprungen, um nochmehr Dialogszenen zu vermeiden.

Glücklicherweise jedoch kann man wenigstens während dieser Storysegmente für gewöhnlich mit ein bis zwei interaktiven Objekten herumspielen, oder die exzellenten Charaktermodelle bewundern (Fans von UK-Serien werden vermutlich Colin Salmon wiedererkennen, der einen der Charaktere spielt und glaubwürdig ins Spiel gebracht wurde), mit denen Blood & Truth zu prahlen weiß. PlayStation VR mag nicht mit den nach oben offenen technischen Möglichkeiten von Virtual Reality auf dem PC mithalten können, doch Blood & Truth ist einer der wenigen wahren “Triple A” VR-Exklusivtitel, und erstrahlt mit spektakulär gescripteten Momenten und einem visuellen Glanz, der den Titel zu einem der aufpoliertesten Virtual Reality Spiele macht, die es derzeit gibt.

Und spielerisch macht es durchaus Spaß. Als Ryan, oder besser gesagt seinen beiden Händen, die man mit Move Controllern kontrolliert, ist man hauptsächlich im Spiel damit beschäftigt, auf Gegner zu schießen, was sich mit der richtigen Wucht und für PSVR vergleichsweise präzisem Tracking gut anfühlt. Und anders als manch anderer VR Shooter fühlt sich das ganze auch taktil an, mit der Möglichkeit eine Waffe beidhändig zu halten für bessere Präzision, manuell nachzuladen und zum Spaß an der Freude in der Hand herumzuwirbeln für ein bisschen mehr Flair. Ist man nicht mit ballern oder Dialogen beschäftigt, bietet das Spiel auch ab und an eine Reihe zusätzlicher Interaktionen. So muss man gelegentlich Schlösser knacken oder Sicherheitssysteme abklemmen, Schreibtische durchsuchen oder auch Kamerasysteme bedienen. Highlights dieser nebensächlichen, aber durchaus willkommen “Gimmicks” involvieren die Möglichkeit, bei einem der vielen Schusswechsel die Musik selbst zu bestimmen und den Besuch in einer Kunstgalerie mit interaktiven Installationen, die natürlich als Demonstrationen für die Möglichkeiten von VR dienen.

Anders als bei manchen Virtual Reality Shootern hat man jedoch keine Möglichkeit, sich frei zu bewegen. Das hat viele VR-Fans negativ überrascht, aber hat durchaus seine Vorteile. Sony Interactive ist sich durchaus bewusst, dass sowohl Playstation VR als die Move Controller Steuerung ihre Grenzen haben und gestalteten das Spiel um diese Limitationen möglichst kunstvoll zu umgehen.

So bewegt man sich im Level linear von einem Fixpunkt zum nächsten, zum Beispiel von Deckung zu Deckung oder in weniger bleihaltigen Momenten von einer Seite eines Raums zum anderen. Das wirkt zunächst sehr einschränkend, offenbart aber auch seine Vorteile: So ist das Spiel darauf ausgerichtet hauptsächlich in einem 180° Blickwinkel stattzufinden, so dass man sich wenig (um)drehen muss, was zu Problemen mit dem Kamerabasierten Tracking von PlayStation VR führen könnte und man stetig vorwärts durch die Levels geht. Aber abgesehen davon bieten die Fixpunkte auch die meist ideale Deckung in der jeweiligen Situation, und fokussieren die Details in einem Level und die interaktiven Objekte an klaren Punkten. Und hin und wieder bekommt man dann doch wieder ein bisschen mehr Kontrolle über die eigene Bewegung, in dem man zum Beispiel an Wänden hochklettert oder durch Lüftungsschächte kriecht, was sich dann umso authentischer Anfühlt.

Hin und wieder jedoch erinnert das Spiel einen dann doch daran, wie eingeschränkt man ist, allen voran in Setpieces, wo man zum Beispiel zu Fuß jemandem hinterher jagt oder selbst aus einer Situation flüchtet. Hier bewegt man sich automatisch durch gescriptete Szenen und muss sich nur um (meist bewaffnete) Hindernisse im Weg kümmern. Doch fühlt man hier umso mehr wie man etwas unnatürlich quasi durch eine “Geisterbahn” gleitet, und umso absurder ist es, dass wenn man einen der Gegner nicht rechtzeitig erschießt, bevor man an ihm vorbeiläuft, dieser einfach regungslos auf der Stelle stehen bleibt. Und genauso wie man vor Gegnern immun ist, sobald man ihnen den Rücken zudreht, kann man auch selber nicht mehr zu vorherigen Punkten zurückgehen, was vor allem Sammlern oder optionalen Collectibles das Leben schwer machen sollte.

Also alles in allem ist Blood & Truth gut und vor allem funktional innerhalb seiner eigenen Einschränkungen.
Doch leider gilt dies nicht nur auf einer technischen Seite, sondern auch auf einer konzeptuellen. Es ist Meckern auf hohem Niveau, doch nach der langen Wartezeit zwischen der London Heist Demo und dem Spiel was daraus geworden ist, als auch in Anbetracht des Eingangs erwähnten exzellenten Astro Bot Rescue, ist Blood & Truth nicht ganz der monumentale Blockbuster Titel, den sich manche vielleicht erhofft hätten. Während andere First-Party VR Titel mit Hilfe von großen Budgets und erfahrenen Entwicklern neue Innovationen oder nicht vorher dagewesene Qualitätsstandards liefern, macht Blood & Truth hauptsächlich Dinge die man schon in vielen anderen Spielen gesehen hat, und mangelt auch an anderen Dingen die andere Spiele tun.

Und ja, mit der hohen audiovisuellen Qualität, spektakulären Momenten und durchdachten Spieldesign macht Blood & Truth seine Dinge besser als viele VR-Konkurrenten, aber ist gleichzeitig eben “nur” überdurchschnittlich dort, wo man sich vielleicht einen Meilenstein erwünscht hätte.