TESTS

Divinity: Original Sin 2

Nicht nur eine Hommage an cRPGs, nicht nur ein würdiger Nachfolger, sondern einfach ein Meisterwerk!

Sebastian Fox · 28. September 2017

Warnung: Ich werde versuchen so spoilerfrei wie möglich zu schreiben, aber das ist nicht immer möglich. Auch die Screenshots sind ausschließlich aus dem Anfangsbereichen des Spiels, um Spoiler zu vermeiden. Außerdem möchte ich darauf hinweisen, dass Divinity: Original Sin 2 gigantisch ist, es ist also einfach nicht möglich in halbwegs annehmbarer Zeit alles zu sehen und zu testen. Deshalb bitte ich schon hier um Verzeihung, falls ich einen bestimmten Bereich nicht erwähnt habe.

Da der Test ziemlich lang ist hier die Kurzfassung: Singt ein Loblied für Larian, denn so geht nicht nur Fanservice, so geht gottverdammt nochmal Storytelling mit interessanten Charakteren, knackigen und vor allem fordernden Kämpfen und ein Belohnungssystem, bei dem es einfach nur Spaß macht jede noch so kleine Ecke der Gebiete zu erkunden. Werdet ein Quellenmagier und spielt Divinity: Original Sin 2!

Dieses schön gezeichnete Introvideo begrüßt euch beim Start der Kampagne.

 

Ein Ring sie zu knechten

Divinity: Original Sin 2 spielt in Rivellon, gerade mal läppische 1200 Jahre nach Divinity: Original Sin. Quellenmagier werden als die Wurzel allen Übels gesehen, da sie die sogenannten Leerenerwachten anziehen und werden deshalb via Gefangenenschiff und mit einem Halsring, der die Quellenmagie unterdrückt, auf eine einsame Insel irgendwo im Meer gebracht. Dies ist auch der Aufhänger der gesamten Story. Allerdings ist – wie für die Spiele der Divinity-Reihe üblich – nicht immer alles so, wie es auf den ersten Blick scheint. Die Magister, eure selbsternannten Wärter unter Führung von Bischof Alexander, sind nicht so nett wie es anfangs scheint. So viel zur Story.

Zum Start des Spiels wählt ihr einen von vier Schwierigkeitsgraden. Darunter fallen der Entdeckermodus mit leichteren Kämpfen, der klassische Modus, in dem ihr ausreichend gefordert werdet, dazu gesellt sich der Taktikermodus, absolut für Masochisten geeignet und der Ehrenmodus, ein Hardcoremodus bei dem ihr nur einen Spielstand habt der mit eurem Ableben sofort gelöscht wird. Danach werdet ihr mit einem ziemlich stylischen Intro in gezeichneter Form begrüßt. Sehr passend. Danach beginnt ihr mit der Charaktererstellung – ihr habt die Wahl zwischen sechs vorgefertigten Charakteren mit eigener Hintergrundgeschichte oder einem selbst erstellten Charakter, dessen Hintergrund ihr mit zwei Stichworten, zum Beispiel Gauner, Mystiker, Adeliger oder Held festlegt. Ihr wählt aus den Rassen Mensch, Elf, Zwerg, Echsenmensch oder der untoten Variante der jeweiligen Rasse (sehr cool!), danach eine Klasse auswählen und euer Gesicht individuell gestalten (Euer Protrait wird an euer Alter Ego angepasst, sehr sehr cool!). Auf die Klasse seid ihr natürlich nicht festgelegt, im Verlauf des Spiels könnt ihr eure Skillpunkte im wirklich ausgeklügelten Skillsystem komplett frei verteilen. Zusätzlich bringen euch diese Fähigkeiten noch passive Boni, ich habe die Magier meiner Truppe als Beispiel mit der Fähigkeit Jägersmann ausgestattet, um Schadensboni durch erhöhte Standorte zu erhalten. Überhaupt seid ihr sehr frei in der Gestaltung eurer gesamten Gruppe – will ich einen reinen Meuchler der nur Dolche schwingt oder nehme ich noch ein paar Zauber dazu, die meinem Schurken Stierhörner geben und dadurch physische Angriffe verstärken? Es lohnt sich, wirklich viel auszuprobieren um den eigenen Geschmack zu finden. Zu diesen Kampffähigkeiten gesellen sich noch „zivile“ Fähigkeiten, wie das jedem Spieler des ersten Teils bekannten Tierfreund, Guerilla für einen Schadensbonus im Schleichen oder oder oder…. Nichts davon ist völlig unnütz und alles fügt sich nahtlos in den Flair der Spielwelt ein, selbst humoristische passive Fähigkeiten wie „Stinkend“, wodurch der Charakter seltener im Nahkampf attackiert wird, aber auch Händler und andere Zivilisten nicht mehr so gerne mit ihm sprechen.

Ein warmes Willkommen sieht anders aus…

Auf die Hintergrund Geschichten der vorgefertigten Charaktere müsst ihr natürlich auch mit einem eigens erstellten Charakter nicht verzichten. Ihr könnt die ganze Bande in eure Gruppe holen, vom Roten Prinz, einem feuerroten Echsenmenschen bis zu Fane, einem untoten Ewigen, der anscheinend an die 1000 Jahre in einer Gruft eingesperrt wurde. Leider kann eure Gruppe aus maximal vier Mitgliedern bestehen, allerdings können diese im Multiplayer von euren Freunden übernommen werden. Ja, richtig gehört: Ein vollständiger Vier-Spieler-Multiplayer wie bereits im Kickstarter angekündigt. Die Hintergrundgeschichten der Gruppenmitglieder erlebt ihr dann in Form von Quests, abgesehen davon bringen alle ihre Rassenvorteile mit – Echsen können ohne Schaufel graben, Elfen können Leichenteile verspeisen, um die letzten Erinnerungen des Toten zu erfahren. Alleine dafür lohnt es sich, die Gruppe im Bezug auf Rassen breit aufzufächern! Zusätzlich dürft ihr in einem kurzen Gespräch mit den Begleitern deren Richtung festlegen, also ob sie Krieger, Magier oder Schurke werden sollen. Danke für keine festgelegten Begleiterklassen, Larian! Allerdings solltet ihr immer die Sympathie eurer Begleiter im Auge behalten, denn sinkt diese zu weit ab, könnten sie eure Gruppe verlassen. Endgültig und für den Rest des Spiels. Später im Spiel habt ihr auch die Möglichkeit Söldner nach eurem Gusto anzuheuern, die machen aber bei weitem nicht so viel Spaß wie die eigenwilligen Gesellen. Auch schön: Wie in Divnity: Original Sin gibt es natürlich bei manchen Situationen die Möglichkeit, das eure Begleiter sich mit einem Kommentar zu der Situation melden, sich untereinander mit ziemlich witzigen Sprüchen streiten oder einfach mal das Gespräch mit bestimmten NPCs übernehmen wollen. Außerdem könnt ihr jederzeit in die Rolle eurer Begleiter schlüpfen und mit diesen NPCs anreden. Rassismus in Rivellon macht solche Maßnahmen nötig. Gerade mit Fane, der durch eine magische Maske in jegliche Rassenrolle schlüpfen kann, ist in diesen Situationen besonders witzig.

 

Diplomatie, Kampf, Chaos

Gespielt wird in der Isoperspektive – hier scrollt ihr über die Landschaft, klickt den Weg eurer kleinen Gruppe an, durchsucht Kisten, Fässer, alles was nicht Niet- und Nagelfest ist, klaut, verhandelt, stellt euch vor einem Kampf auf. Wer Divinity: Original Sin gespielt hat (egal ob Enhanced oder Normal) wird sich sofort zurecht finden. Ihr könnt eine Formation für eure Gruppe festlegen und in dieser durch die weitläufigen Gebiete ziehen oder aber durch Drag and Drop eines Portraits an der Seite bestimmen, das Charaktere einzeln und getrennt vom Rest der Gruppe agieren sollen. Eine sinnvolle Erweiterung zum ersten Teil ist die Diebstahl-Mechanik. Selbst wenn ihr ungesehen einen Gegenstand mopst, ist diesmal ein Tatort vorhanden. Die NPCs wissen halt, dass sie das sauteure Portait ihres Herrschers an der Wand hängen hatten, du schmutziger Schuft! Dadurch wird die Möglichkeit, massig Geld direkt zu Beginn zu generieren, stark gebremst. Die NPCs fordern euch zur Rückgabe des Diebesgutes auf und rufen die Wachen, falls ihr sie nicht überreden könnt, euch euren kleinen Schatz zu überlassen. Für ganz üble Burschen gibt es natürlich noch die Möglichkeit, Zeugen zu beseitigen….

Eine weitere Neuerung stellt das meines Erachtens sehr viel aufgeräumtere Tagebuch dar. Die Quests um selbiges zu füllen erhaltet ihr aus allen möglichen Gesprächen oder aber Events, die euch unterwegs passieren. Diese sind, wie von Larian bereits gewohnt, teilweise wirklich extremst abgedreht, bringen aber immer wieder mindestens zum Schmunzeln. Divinity: Original Sin 2 gibt euch allerdings auch wie beim ersten Teil massig Varianten, diese zu lösen. Ich werde ab hier spoilern, also bitte springt zum Ende des Absatzes, wenn ihr wirklich gar nichts von der Geschichte oder einer möglichen Lösung für eine Situation lesen wollt! Euer Hauptziel im allerersten Abschnitt des Spiels ist es natürlich, die magieblockende Halskrause loszuwerden und aus eurem zugegebenermaßen ziemlich sonnigen Gefängnis zu flüchten. Variante 1: Mit Gewalt. Ihr habt an jeder Stelle die Möglichkeit, alles und jeden um euch herum abzumurksen. Das ist natürlich nicht die feine englische Art und resultiert häufig in schlechtem Karma und ihr bekommt irgendwann die Quittung dafür. Variante 2: Ihr findet über Leichen, Briefe, andere Gefangene oder Wachen heraus, dass es Magister gibt, die den Gefangenen helfen. Inklusive Entfernung Halskrause und Schifffahrt aus dem Knast. Diese müsst ihr dann unter den zahlreichen Magistern des Gefängnisses ausfindig machen und überzeugen, das ihr keine Spione seid. Variante 3: Ihr findet eine illegale Kampfarena im Knast. Hier wird dem Sieger ganz zufälligerweise der Tipp gegeben, das der Schmied innerhalb eurer ausgedehnten schwedischen Gardinen die Halskrause entfernen kann – danach nur noch fliehen, was durch das Wissen um einige Geheimgänge und mit dem Erhalt der passenden Schlüssel wirklich ganz einfach möglich ist.

Hier könnt ihr die Ereignisse eurer Reise verfolgen.

Das Kampfsystem, wie auch bereits in Divinity: Original Sin, ist Runden- und Aktionspunkte basierend. Die Bewegung, das Angreifen und eure Fähigkeiten kosten Aktionspunkte. Sind alle verbraucht, endet die Runde. Natürlich könnt ihr die Runde auch früher beenden und euch unverbrauchte Aktionspunkte für die nächste Runde aufsparen. Hier hat Larian eine Kürzung vorgenommen: Konnte man im Vorgänger noch knapp 20 Aktionspunkte ansammeln, ist hier nur noch ein Maximum von 6 zulässig. Für die Erhöhung der Schwierigkeit von Kämpfen absolut sinnvoll, so sind keine übermäßig starken Züge einzelner Charaktere mehr möglich und die Runden gerade gegen stärkere Gegner spielen sich auch angenehm zügig. Auch die Physikspielereien sind wieder da und wurden kaum verändert! Eine Öllache verlangsamt eure Charaktere und eure Gegner, diese kann jedoch auch in Brand gesteckt werden. Falls ihr Wasser erhitzt, wird daraus eine Dampfwolke – die ihr wiederum elektrisieren könnt und damit zu einer Betäubung der darin stehenden Figuren führt. Wollt ihr es etwas makaberer? Ihr könnt auch das Blut des Schlachtfeldes erhitzen, um eine Blutwolke zu erzeugen. Ziemlich demotivierend für Freund und Feind! Das daraus entstehende Chaos, vor allem wenn ihr zufällig ein am Rand stehendes Giftfass (explosiv!) übersehen habt, könnt ihr euch vorstellen. Was ein Spaß! Eine tolle Neuerung ist das Rüstungssystem: Über eurem Lebensbalken seht ihr jetzt einen Wert, der die Stärke eurer physischen und magischen Rüstung anzeigt. Die physische Rüstung blockt nichtelementaren Schaden und Manöver, die euch niederschlagen sollen. Die magische Panzerung dagegen blockt Stati wie brennend oder verlangsamt, zusätzlich zum Schutz vor elementarem Schaden. Erhöht wird der Wert durch eure Rüstungsteile und Buffs, vereinzelte Skills und Zaubersprüche regenerieren diese während des Kampfes. Außerhalb des Kampfes werden beide Rüstungswerte regeneriert, allerdings müsst ihr euer Leben durch Ausruhen oder Heilung wiederherstellen. Es sei noch kurz erwähnt, dass die Quellenmagie hier eine wichtigere Rolle spielt, als noch im Vorgänger, da ihr sogar in der Lage seid, sie zu benutzen.

Schade, das eure Gegner immer automatisch von den Resistenzen eurer Truppe zu wissen scheint – Fane, der untote Begleiter, wurde trotz Vermummung häufig sofort von gegnerischen Magiern mit Regeneration belegt oder in Brand gesteckt. Mods des Steamworkshops schaffen hier zwar Abhilfe, aber meiner Meinung nach sollte man die Herausforderung auch ohne Mods schaffen können.

Ein Schlachtfeld kann schnell mal so aussehen….

Backe, Backe Kuchen…….

Auch das Crafting wurde im Verhältnis zum Vorgänger verbessert: Ihr habt nun ein richtiges Rezeptbuch, könnt bis zu 5 Gegenstände miteinander kombinieren und euer Ergebnis bestaunen. Die Rezepte findet ihr natürlich selbst oder aber in den zahlreichen Büchern, die neben Hintergrund zu Rivellon häufig eben auch Rezepte oder Lösungsmöglichkeiten für den weiteren Weg enthalten. Ob vergiftete Speisen, Zauberschriftrollen, Waffen, Rüstungen…. es ist nahezu alles selbst herstellbar. Und natürlich auch wieder die unzähligen Pfeilarten für die eventuellen Waldläufer unter euch. Zusätzlich zum eigenen Crafting ist es nun möglich, eure Waffen und Rüstungen mit Runen zu verzaubern. Das macht eine so bereits durchschlagskräftige Klinge gleich doppelt so interessant, könnt ihr doch damit dann auch wieder Öl und Gift entzünden, eure nassen Gegner lähmen oder gleich einfrieren.

In diesem hübschen Menü könnt ihr Tränke brauen und Rüstungen erschaffen.

Auch ist es wieder möglich, durch Kisten blockierte Wege freizuräumen und so Geheimgänge oder in schlechteren Situationen Fallen freizulegen. Das macht es nötig, in fast allen Bereichen des Spiels doppelt hinzusehen, um keinen Geheimweg oder eine alternative Route zum Ziel zu übersehen. Leider hilft euch hier häufig die Minimap, die betretbare Bereiche umrandet… Überhaupt gibt es wirklich massig zu entdecken, alleine nach dem Start des Spiels auf dem Strand (das ist nicht mal ein viertel des gesamten ersten Gebiets) habe ich locker 3 Stunden verbracht, um mir alles anzuschauen. Hier zeigt sich auch die unglaublich ausgeklügelte Persistenz der Spielwelt – Charaktere, denen man hier bereits begegnet ist, trifft man immer wieder in verschiedenen Situationen, in denen auf eure vorangegangen Handlungen und Aussagen eingegangen wird. In keiner Situation wirkt dies aufgesetzt, die Charaktere bleiben sich immer treu und wirken absolut natürlich. Die Character Designer von Larian sollten Lehrgänge für andere Autoren der Branche anbieten (Ich schiele auf dich, Torment – Tides of Numenera!). Häufig genug entstehen makabere Situationen, in denen man den schwarzen Humor vollkommen auskosten kann. Besonders der Charakter Lohse sei hier erwähnt, die zwischen einer lebensfrohen Sängerin und einem etwas in ihr hin und her springt und so wirklich abstruse Verhältnisse in Gesprächen schafft.

An der Technik des Spiels ist wenig bis gar nichts auszusetzen. Es sieht einfach großartig aus, gerade für das Genre der cRPGs. Es läuft vollkommen flüssig, ich konnte keine Einbrüche von Frames selbst in den chaotischsten Schlachtfeldern spüren. Der Soundtrack geht ins Ohr und passt sich immer an die Verhältnisse der gerade herrschenden Situation an. In Höhlen läuft eine beklemmende, eher ruhige Melodie und im Kampf explodieren die Instrumente förmlich. Apropos Instrumente: In der Charaktererstellung wählt ihr ein Instrument, das bei besonderen Aktionen eurerseits im Kampf die Führung der Musik übernimmt. Wirklich coole Idee! Die Gespräche sind vollständig vertont, zwar nur auf Englisch, aber mit wirklich großartigen Sprechern. Eine deutsche Sprachausgabe ist nicht geplant, was bei über 80.000 Zeilen an Text nicht sonderlich verwundern dürfte. Alle Texte sind in unsere Muttersprache übersetzt und das ebenfalls mit höchster Güte. Leider hat ein Spiel dieses Ausmaßes dennoch einige Bugs, so war die Kamera während eines Gesprächs gesperrt, allerdings nicht auf den Bereich um die Gesprächsteilnehmer, sondern irgendwo im nirgendwo. Wirklich destruktive Bugs, die mir den Spielspaß geraubt hätten, sind mir während des Testens nicht aufgefallen.

Zum Abschluss des Tests: Schöner Strandurlaub!