TESTS

Observation

Systemdiagnose eines Weltraum-Thrillers

Jan Markus Mäuer · 21. Mai 2019

(Verfügbar für PC und PS4. PS4 Version getestet)

Observation ist eine natürliche Entwicklung für das Studio No Code. Der erste Vorstoß des Entwicklers ins PC-Gefilde war “The House Abandon”, ein Game Jam Experiment das einem extrem altmodischen Textadventure eine große Portion Meta-Grusel verlieh. The House Abandon floss später als überarbeitete Version dann auch in Stories Untold (blieb jedoch in Form einer „Demo“ kostenlos spielbar) ein, No Code’s “Anthologie” an kurzen Spielen, die ebenfalls ihre Geschichten durch die Interaktion mit diversen Geräten und Computern erzählten. Und so folgt nun Observation, ebenfalls ein Spiel in dem man eine Story durch das Kontrollieren von Computersystemen und Maschinen erlebt. Nur diesmal ist man selbst ein Teil des Systems.

Man übernimmt die Rolle von S.A.M., die administrative KI an Bord der Observation, eine Raumstation die wie ein minimal futuristischerer Nachfolger der ISS daherkommt. Wie so oft in solchen Geschichten sind die Dinge Anfangs schlecht und werden nur noch schlechter. Nach einer womöglich längeren Zeit offline wird man von Dr. Emma Fisher reaktiviert, mit korrumpierten Speicher und limitierter Kontrolle über die stark beschädigte Raumstation. Alle anderen Crew Mitglieder sind nicht auffindbar und möglicherweise tot.

Und kurze Zeit darauf häufen sich die Probleme: Denn die Station hat den Erdorbit lange verlassen und ist auf Kurs Richtung Saturn. Als würde es nicht schon schlimm genug sein, ist S.A.M. scheinbar daran Schuld. Was etwas damit zu tun haben könnte, das noch etwas anderes Kommunikation mit der KI aufgenommen hat und scheinbar ein Interesse an Dr. Fisher hat…

Also ja, diesmal ist man selbst H.A.L. 9000, MU-TH-UR oder SHODAN, doch auch wenn man selbst die Rolle verkörpert, bleibt es lange Zeit ein Rätsel ob man ähnlich sinistere Motive wie diese klassischen KIs hat.

Die größte Zeit über hält Observation ein Gefühl der “emotionalen Distanz” (mangels eines besseren Begriffs) aufrecht. Dr. Fisher hat offensichtliche Vertrauensprobleme mit S.A.M., ist aber vom Computer abhängig. Als Spieler ist man genauso ratlos und stolpert ab und an über Ereignisse, die einen selbst misstrauisch gegenüber den eigenen Motivationen als auch Dr. Fisher stimmen, doch hat man in der Rolle von S.A.M. eben keine andere Wahl, als Befehle zu befolgen. Sich im Spiel dagegen zu sträuben oder Dinge falsch oder zu langsam zu machen werden als Bugs im System abgetan. Und auch wenn man als Spieler die Umgebung (oder sogar sich selbst?) erkundet, sich in private Nachrichten einwählt oder ungefragt am Zugriff auf die Lebenserhaltungssysteme der Station scheitert (hey, ich musste es ausprobieren), stellt sich auf narrativer Ebene die Frage, ob dies eine logische Aktion eines Bordcomputers ist, der die Kontrolle über sich selbst zurückzuerlangen versucht oder ein Anzeichen dafür, dass die KI die man verkörpert ein Eigenleben entwickelt.

Die Geschichte von Observation ist atmosphärisch und schlägt schnell eine surreale, existentiell philosophische Richtung ein. Man sollte also nicht unbedingt erwarten, dass der Plot des Ganzen objektive und einfache Erklärungen bietet. Die Ereignisse lassen viel Spielraum für Interpretation und mögliche Fragen offen. Dennoch fand ich persönlich das Ende zufriedenstellend und effektiv darin, sich auf Referenzen und Themen von einer Vielzahl von Quellen zu berufen, inklusive einiger cleverer Anhaltspunkte die über die gesamte Länge des Spiels verstreut sind.

Da der Fokus des Spiels auf der Geschichte liegt, ergibt das eine clevere Abfolge der Geschichte. Spielerisch interagiert man mit der Raumstation über diverse stationäre Kameras sowie gelegentlich Drohnen, mit denen man sich frei innerhalb und manchmal auch außerhalb der Station bewegen kann. Durch das Anvisieren von Geräten und Systemen kann man sich in diese einwählen und über eigene Benutzeroberflächen mit ihnen interagieren. Eine wirkliche Entscheidungsfreiheit wird dem Spieler nicht gelassen, immerhin befolgt man die Befehle des Benutzers und viele der Interaktionen sind Quick-Time-Event artige Tasteneingaben. Das kann manchmal ein wenig mühselig sein, vor allem auf der PlayStation 4 wo man nicht mit einer Maussteuerung gesegnet ist und man zum Beispiel Koordinaten mehr oder minder abschreiben muss. Gelegentlich jedoch enthüllen sich auch einige clevere, “echte” Rätsel, die es zu Lösen und zu Erkunden gibt und das Spiel tatsächlich in diesem Aspekt über viele moderne Story-Adventures und „Walking Simulators“ hebt…manchmal zumindest.

Die Präsentation weiß ebenfalls zu überzeugen, zumindest weitestgehend. Das Sounddesign ist exzellent, und die Raumstation wurde überzeugend umgesetzt mit der sehr realitätsnahen ISS-artigen Ästhetik, ein klaustrophobisches, geordnetes Chaos von Laptops, Messgeräten und Stauraum in zweckmäßig weißer Plastikästhetik ohne einen echten Sinn dafür, wo oben und unten ist, immerhin reden wir vom Weltraum. Dramatische Lichteffekte und der subtile Musikscore leisten ihren Beitrag, um eine bewusst unbequeme Atmosphäre zu vermitteln.

Dazu kommt dann noch selbstverständlich die Perspektive des Spiels, die außerhalb von ein paar cineastischen Außenaufnahmen konsistent durch die verschiedenen Linsen und Bildschirmausgaben von S.A.M. und den Systemen der Raumstation führt. Hier sollte man vielleicht erwähnen, dass No Code’s Lead Designer Jon McKellan zuvor an der fantastischen Retro-Futuristischen Analog-Ästhetik von Alien Isolation arbeitete. Entsprechend ist auch Observation ein Fest für Freunde des Lo-Fi Digital Looks. Man navigiert sich im Spiel durch eine Vielzahl von Benutzeroberflächen, von zweckdienlich über stilvoll bis hin zu beabsichtigt potthässlich, und wer Spaß an sich durchdesignten UIs hat wird hier seine helle Freude haben (auch wenn das Spiel nicht selten dazu tendiert, weißen Text zu nutzen, was in den zumeist weiß gefärbten Wänden der Raumstation manchmal kontraproduktiv daherkommt). Die diversen Kameraperspektiven helfen dank gewissenhaftem Einsatz von Filtern und Winkeln, ein semi-authentisches „Found Footage“ Feeling aufrecht zu erhalten.

Etwas enttäuschend dagegen ist die menschliche Protagonistin. Das Charaktermodell an sich ist detailliert, die Animationen und insbesondere die Mimik des Charakters wirken jedoch eher steif und understated, was am ehesten No Code als Indie Entwickler in der sonst recht hochwertigen Optik enttarnt. Ebenfalls etwas zu auffällig ist, dass Dr. Fisher recht wenig animiert ist wenn sie nicht der Fokus einer Szene ist. Wenn das Spiel darauf wartet das man als SAM eine Aufgabe erledigt hat, tendiert die Protagonistin dazu starr und regungslos herumzustehen, was auf eine ausnahmsweise unbeabsichtigte Weise befremdlich wirkt.

Trotz des guten Looks hat die Technik leider Macken, zumindest auf PlayStation 4 (hier mit PS4 Pro getestet). Wie schon bei anderen PlayStation 4 Spielen, die wie Observation auf der Unity Engine basieren wird hier wieder bewiesen, dass das sonst fähige Framework schlecht für Sonys Konsole optimiert zu sein scheint, was sich in schlechten Framerates und einer eher trägen Steuerung bemerkbar macht. Dies ist für den hier sehr langsamen Spielfluss nicht schädlich, doch auffällig allemal.

Ähnlich problematisch sind visuelle Bugs, die sich in der zweiten Hälfte des Spiels zu häufen scheinen. Während lange Zeit eine authentische, immersive Stimmung gewahrt wird, sorgten vor allem Richtung Ende des Spiels auffällige Clipping-Fehler und Ausrutscher in der Animation dafür, dass die Illusion vom Pseudo-Realismus an unpassenden Stellen etwas gebrochen wird. Bereits vor dem offiziellen Release des Spiels erhielt Observation mehrere Patches, daher hoffe ich das zumindest diese Unschönheiten hoffentlich kurzfristig behoben werden können.