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Pathologic Classic HD

Pathologic (oder Мор. Утопия) von 2005 aus dem Hause Ice-Pick Lodge genießt in der Community einen ganz besonderen Status: Während bekannt ist, dass technisches Grundgerüst und die englische Übersetzung von mangelhafter Qualität sind, ist der Konsens, dass der Plot diese Schwächen mehr als wettmacht. Die russischen Entwickler sind sich dieser Mängel völlig bewusst und fühlen sich […]

Dawid Gryndzieluk · 9. November 2015

Pathologic (oder Мор. Утопия) von 2005 aus dem Hause Ice-Pick Lodge genießt in der Community einen ganz besonderen Status: Während bekannt ist, dass technisches Grundgerüst und die englische Übersetzung von mangelhafter Qualität sind, ist der Konsens, dass der Plot diese Schwächen mehr als wettmacht. Die russischen Entwickler sind sich dieser Mängel völlig bewusst und fühlen sich zugleich vermutlich geehrt, dennoch eine so treue Fanbase zu haben. Darum hat man eine Kickstarter-Kampagne gestartet, um ein Remake auf zeitgemäßer technischer Ebene zu realisieren. Während sich das neue Pathologic noch in der Entwicklung befindet, tat man sich mit dem Publisher Devolver Digital zusammen und brachte eine verfeinerte Version des Originals heraus, die die Entwickler humorvoll als Pathologic Classic HD: Now Comprehensible bezeichnen.

Doch bevor ich auf die Feinheiten eingehen möchte, gilt es zu klären, worum es sich bei dem legendären Pathologic handelt. Es ist ein aus der Ego-Perspektive gespieltes Horror-Adventure mit vielen Dialogen, Entscheidungen und Konsequenzen. Der Plot beginnt damit, dass einer von drei Heilern in einer kleinen Stadt mitten in einer seltsamen Steppe eintrifft und Dinge geschehen. Pathologic kann aus der Perspektive dieser drei Charaktere gespielt werden und bietet jedes Mal eine grundsätzlich andere Spielerfahrung.

Zu dem Cast der Protagonisten zählen der Bachelor, ein anerkannter Arzt aus der Stadt, der Haruspex, ein traditioneller Heiler, und die Devotress, die wiederum mystische Fähigkeiten mitbringt. Während der Bachelor etwa mit offenen Armen empfangen wird und das Spiel im Schlafzimmer einer fremden Dame beginnt, wird der Haruspex gleich in Stunde eins in einen Mordkomplott verwickelt und muss vor der Lynchjustiz fliehen. Im Laufe der kommenden zwölf Tage bricht in der Stadt eine seltsame Krankheit mit dem Namen Steppenfieber aus und rafft nach und nach große Teile der Bevölkerung hin. Die drei Heiler müssen einen Weg finden, die Kleinstadt zu retten, arbeiten aber nicht zusammen. Im Gegenteil, stellenweise legen sie sich sogar Steine in den Weg. Während die Krankheit sich ausbreitet, verändert sich die komplette Marktsituation in der Stadt und Lebensmittel oder Medikamente werden zu unfassbar teuren Luxusartikeln. Oftmals steht man vor der Entscheidung, ob man horrende Preise in Kauf nimmt oder doch einfach zu Gewalt greift in der Hoffnung, dass der Zweck die Mittel heiligt.

Eine Besonderheit von Pathologic ist, dass der Spieler nicht an die Hand genommen wird; Dinge geschehen einfach, ganz gleich, ob man zugegen ist oder nicht. Es gilt, ausgiebig mit den wichtigen Charakteren der Stadt zu sprechen, um Informationen zu den kommenden Ereignissen aufrechtzuerhalten. Ein Scheitern in diesem Aspekt kann bedeuten, dass die Stadt unrettbar wird, sodass stets Augen und Ohren offen gehalten werden sollten. Interessant ist auch, dass der komplette Plot erst nachvollziehbar wird, wenn man alle drei Charaktere erfolgreich zum Ende geführt hat.

Obwohl das ursprüngliche Release durch matschige Texturen und kantige Charaktere gezeichnet war, baute Pathologic eine enorme Atmosphäre auf, alles wirkte irgendwie unheimlich und beklemmend. Dazu gehörte, dass man regelmäßig von Gestalten in Vogelmasken besucht wurde, die mit dem Spieler sprachen (ja, ausdrücklich mit dem Spieler, nicht seinem Charakter), aber auch befremdliche Bauwerke wie das Polyhedron, ein Konstrukt am Stadtrand, das statisch betrachtet unmöglich ist. Und ja, ich bin der Meinung, dass die mehr als holprige Übersetzung aus dem Russischen ins Englische positiv dazu beigetragen hat. Eine seltsame Sprache und Wortwahl bewirkte enorme Befremdlichkeit, die durch die generelle Atmosphäre nur noch unterstrichen wurde. Die Kehrseite der Medaille war, dass es nicht immer klar ersichtlich war, was die Charaktere meinten, sodass der Spielfluss und damit auch der Erfolg des Spielers auf der Strecke bleiben konnten.

Pathologic Classic HD tut eigentlich überhaupt nicht viel, um das Spielerlebnis zu verbessern, dennoch ist es sehr wirkungsvoll. Auffällig ist nur, dass die vorgerenderten Zwischensequenzen weiterhin die alten sind, 4:3-Verhältnis inklusive. Die Texturen ingame aber wurden deutlich verbessert, ebenso die Kompatibilität mit modernen Systemen; sogar Cloud-Speicherung ist vorhanden.  Da das alte Gameplay und der zugegebenermaßen stockende Spielfluss aber unangetastet blieben, ist und bleibt Pathologic Classic HD aber leider ein Titel aus der Sparte „special interest“. Gleichzeitig wurde eine komplett frische Übersetzung aufgespielt, die meiner Ansicht nach ein zweischneidiges Schwert ist. Plötzlich sind die Sachverhalte viel klarer, aber die bereits erwähnte fremdartige Wirkung des seltsamen Sprachgebrauchs ist wie verpufft. Es ist aber letzten Endes unfair, eine saubere Übersetzung einer kaputten unterzuordnen, insofern muss man dies als klaren Pluspunkt werten.

Doch wieso dieses Release von „Version 1.5“, wenn doch ein komplettes Makeover vor der Tür steht und auch neue Zielgruppen ansprechen will, die bisher vom eigenwilligen Spielfluss und dem unklaren Plot abgeschreckt wurden? Der Grund ist recht simpel: Kopien des Originals waren nicht mehr leicht zu beschaffen und auch die üblichen Verdächtigen Steam und GOG hatten es nicht mehr im Angebot. Pathologic Classic HD stellt eher den Marktwiedereintritt eines alten Produktes dar, das ein wenig Makeup bekommen hat, anstatt wirklich Neues zu bieten.

Pathologic Classic HD schlägt wie der Vorgänger leider in eine Nische: Liebhaber des Originals werden sich daran erfreuen, dass ihr aktuelles System endlich Pathologic ohne Mucken abspielt und dass auch eine DRM-freie Version vorhanden ist. Spieler jedoch, die mal versuchen wollten, in Pathologic durchzusteigen, werden weiterhin vor die alte Hürde des Gameplays gestellt, das sie kaum am roten Faden entlang führt und in Frust resultieren kann. Die breite Masse wird ohnehin nicht angesprochen; doch das ist etwas, das das Remake ändern will.

An dieser Stelle kann ich Pathologic Classic HD eine Empfehlung aussprechen, denn es tut, was es verspricht: Pathologic mit weniger technischen Schwierigkeiten auf modernen PCs. Wer jedoch auf eine Überarbeitung des Gameplays hofft, der muss sich wohl oder übel auf das Remake gedulden.