TESTS

The Surge

Elysium trifft Dark Souls trifft Nioh – bleibt da noch genug Eigenständigkeit vorhanden?

Sebastian Fox · 16. Mai 2017

Was ist noch schlimmer als erste Arbeitstage? Man fragt sich, ob die neuen Kollegen nett sind, ob man gut ankommt, ob man den Job stemmen kann… Für Warren sind diese Probleme eher nebensächlich, geht an seinem ersten Arbeitstag doch alles schief, was nur schief gehen kann. Die Maschinen drehen durch, die Kollegen wollen ihm ans Leder und Keiner, wirklich Keiner kann ihm sagen, was hier eigentlich los ist. CREO – die Firma, bei der Warren den Job seiner Träume finden will – versucht, die Atmosphäre wieder herzustellen. Irgendwas ist dabei gewaltig schief gelaufen und nun ist es an ihm, die Ursache des Problems zu finden.

Der erste Tag

Eine gute Sache hat das ganze dennoch. Die neue Firma spendiert jedem Mitarbeiter Exo-Rigs, die unserem rollstuhlfahrenden Freund doch noch das Gute in der ganzen Sache sehen lassen. Zugegeben, die Operation, um die Neuro-Link genannte Schnittstelle zu installieren, ist nicht ganz schmerzfrei, aber hey, Warren kann wieder laufen. Wen diese Exo-Anzüge an Matt Damon im Film Elysium erinnern, der liegt nicht ganz falsch. Selbst Matt Damons Synchronsprecher, neben einigen anderen berühmten Stimmen, wurde in der deutschen Version für Warren genutzt. Und alle machen ihre Sache wirklich großartig. Ich kann mit gutem Recht behaupten, lange in keinem Spiel mehr eine so grandiose deutsche Synchronisation zu Ohren bekommen zu haben. Aber fangen wir erst mal mit dem Spiel an sich an.

Auch The Surge kommt nicht umhin, sich an den großen Action-RPGs zu messen, die von ihrer Schwierigkeit leben. Das Spiel ist der nächste Titel nach Lords of the Fallen von Deck13, das versucht, in die gleiche Kerbe wie Dark Souls, Bloodborne und Nioh zu schlagen. Und es schlägt sich verdammt gut. Nachdem wir das finstere Fantasy Mittelalter, feudales Japan und Wikinger nun schon gesehen haben, zeigt Deck13 mit The Surge, dass sich das Prinzip des fiesen Schwierigkeitsgrads auch im SciFi-Genre recht gut macht. Gleichzeitig zeigt es aber genug Eigenständigkeit, um nicht zu langweilen.

Kleider machen Leute

Dreh- und Angelpunkt des Spiels ist der eingangs erwähnte Exo-Anzug, ein Skelett außerhalb des Körpers. Dieser besitzt einen Energiekern, dessen Stärke in Kernleistung angegeben wird und respektive die Level von Warren darstellt. Diese Kernleistung benötigt ihr, um Implantate in euren Neuro-Link einzusetzen. Die erhöhen euer Leben, stellen euch Heilmittel zur Verfügung oder geben passive Fähigkeiten, wie zum Beispiel Wiederherstellung von Leben nachdem ihr einen Gegner ums Eck gebracht hab. Die Kernleistung braucht ihr ebenfalls für die modulare Ausrüstung eures Exo-Rigs – könnt ihr euch anfangs nur zwischen zwei Sets entscheiden – einem schnelleren Modell mit wenig Panzerung und einem langsamen Modell mit mächtig Wums – stehen euch nach und nach mehr Teile zur Verfügung, die ihr in einem recht simplen Crafting Menü herstellen könnt. Schön: Ihr könnt alle Einzelteile eurer Module am Rig sehen. Noch schöner: Rüstet ihr gleich alle Teile eines Sets aus, gibt es euch passive Boni, die mit den richtigen Implantaten kombiniert mächtige Kampfmaschinen aus Warren machen. Noch viel schöner: Ihr könnt jedes Teil auf höhere Versionen desselben Modells verbessern – so ist selbst die Anfangsausrüstung später noch nützlich!

Doch wie kommt man an die begehrten Blaupausen? Ganz simpel. Ihr klaut sie euren Gegnern, indem ihr Körperteile abschlagt. Klingt brutal, ist es auch. The Surge geizt nicht mit extrem grausamen Finishern. Der Clou dabei: Wenn ihr ungepanzerte Körperteile eures Gegenübers anvisiert, bekommt ihr keine Blaupause, macht aber mehr Schaden. Wollt ihr neue Teile und gegebenenfalls ein Schema ergattern, müsst ihr auf die gepanzerten Teile eindreschen. Das gibt eine überaus taktische Komponente: Muss ich noch Teile für das nächste Upgrade farmen, ziele ich eher auf die gepanzerten Körperstellen. Habe ich jedoch wenig Leben und keine Möglichkeit, mich jetzt zu heilen, ist es vielleicht besser, schnell und schmerzlos vorzugehen. Egal für was ihr euch entscheidet: Alle Gegner lassen Altmetall fallen, das ihr benötigt, um die Blaupausen umzusetzen und eure Kernenergie zu erhöhen. Was euch die nächste Entscheidung bezüglich der Entwicklung eures Charakters abverlangt. weil das noch nicht genug Anpassung war: Es gibt Drohnenmodule, die entweder schießen, den Gegner verlangsamen, rammen und so weiter. Später im Spiel habt ihr noch die Möglichkeit, das Exo-Rig selbst zu verbessern, um mehr Implantatslots freizuschalten, denn anfänglich habt ihr magere 8 Slots.

Das Beste am Implantatsystem: Wenn ich im Spiel merke, ich komme mit meinem aktuellen Implantaten einfach nicht weiter, tauschen wir sie an der Med-Station schnell aus und können uns an einem völlig veränderten Spielstil erfreuen. So könnt ihr alles immer an die aktuelle Situation anpassen. Die Med-Station selbst dient als futuristisches Bonfire, also als Checkpoint, das euch heilt und eure Heilmittel auffüllt. Hier könnt ihr euer Altmetall auch in Ausrüstung und Kernenergie umwandeln. Auch geklaut: Jeder Gegenstand, egal ob Waffe, Rüstungsteil oder nutzbarer Gegenstand hat eine kleine, sehr feine Beschreibung, die euch tiefer in die Dystopie der Zukunft eintauchen lässt. From Software lässt grüßen!

Will mich hier eigentlich jeder umbringen?

Die Geschichte wird größtenteils über auffindbare Tonspuren erzählt, die euch immer tiefer in das Geheimnis um CREO und deren Chemikalie Resolve eintauchen lässt. Abgesehen von den NPCs, die euch umbringen wollen, gibt es auch eine handvoll friedlicher Individuen, die euch ebenfalls einiges zu CREOs ultimativer Lösung erzählen können. Meistens haben sie dann noch eine kleine Aufgabe für Warren, die auch seltenst schlecht belohnt wird. Ärgerlich: Hin und wieder findet man die Lösung für eine Quest erst nach Stunden der Suche in weit fortgeschrittenen Gebieten.

Apropos Gebiete: The Surge spielt in der Hauptanlage CREOs mit Fabriken, Forschungslaboren und allem, was der gigantische Weltretter sonst so zu bieten hat. Diese unterteilen sich in Komplexe, zwischen denen ihr durch Züge frei wechseln könnt. Wem das zu eintönig klingt: Weit, ganz weit gefehlt. Deck13 hat es geschafft, die Anlage zwar immer im gleichen, modernen Stil von CREO zu halten, aber trotzdem genug Abwechslung zu schaffen, sodass ich doch erstaunt war, wie schön eine gigantische, technische Anlage doch sein kann. Mal schleicht man durch einen Innenhof der Anlage und darf das umliegende Land mit seinen zerfallen Häusern bestaunen, mal ist man in der klassischen Optik einer Fabrikanlage unterwegs. Jedes mal wenn man denkt, man hat nun alles gesehen, was das Spiel an Diversität zu bieten hat, schmeißt es euch ein optisch vollkommen neues Gebiet vor die Nase, ohne jemals wirklich fremd zu wirken. Tolles Detail in dunklen Gängen: Je nach ausgerüstetem Set habt ihr eine andere Beleuchtung an eurem Exo-Skelett angebracht.

Wenn man die Gebiete nur überfliegt, hat man noch lange nicht alles von Ihnen gesehen. Wo es augenscheinlich immer nur einen Weg gibt, könnten Kisten oder Gitter Abkürzungen zurück zur Med-Bay oder Gegenstände verstecken. Das Spiel will erkundet werden. Viele Wege sind auf den ersten Blick nicht sichtbar, aber genaues hinsehen lohnt – jede Ecke hat ihren Sinn und so manch verstecktes Implantat soll auch schon auf Rohren gesichtet worden sein. Trotz der vielen möglichen (Um-)Wege wird euch die Orientierung immer möglich gemacht. Überall hängen kleine Schilder, die euch den Weg zurück in Sicherheit weisen oder aber zum nächsten Aufzug. Dabei springen sie euch nie störend ins Gesicht, wie es in vielen anderen Spielen heute üblich ist. Detailverliebtheit par excellence!

Gebt mir eine Waffe!

Die Waffenauswahl ist nicht ganz so groß, wie man es von den Souls-Spielen gewohnt ist – dafür aber umso unterschiedlicher. Die Waffen teilen sich in fünf Gattungen auf, von denen jede ihre eigenen Finisher, Tastenkombinationen und Animationen besitzt. Eure Möglichkeiten scheinen zuerst begrenzt: Ihr habt nur vertikale und horizontale Schlägen zur Verfügung, könnt diese durch längeres Drücken zu harten Schlägen der jeweiligen Richtung aufladen und das war’s augenscheinlich erst mal. Jedoch ergibt die Kombination verschiedener Richtungen direkt hintereinander eine Schlagreihenfolge und Animation, mit der man so meistens nicht gerechnet hat – und mit dem Schaden, den man anrichtet auch nicht.

Das Kampfsystem selbst macht eine großartige Figur. Wie bereits beschrieben, visiert ihr einzelne Körperteile an, um euren Gegnern den Garaus zu machen. Dabei elementar: Eure Ausdauer und Energie. Ausdauer braucht ihr, um auszuweichen und zuzuschlagen. Energie dagegen baut euer Exo-Anzug erst im Kampf auf: Je mehr Treffer ihr landet, desto schneller ist die Leiste voll. Die Energie wird benötigt, damit ihr genug Schwung in einer Attacke habt, um die begehrten Einzelteile von Gegnern abzutrennen. Energie wäre allerdings langweilig, wenn sie nur zum Abtrennen existieren würde: Ihr könnt eure Drohne damit verstärken oder je nach Modell sogar erst mit Energie aktivieren! Ferner gibt es aktive Implantate, die erst über Energie genutzt werden können. Schade, das die Finisher häufig die Gegneranimation abhacken – das sieht teilweise echt albern aus! In allen anderen Fassaden glänzt der Nahkampf, der, vorausgesetzt man hat genug mit der eigenen Waffe ausreichend Übung, aussieht wie ein Tanz des Todes.

Schade dagegen ist, das die Gegnervielfalt, an denen ich meinen Totentanz auslassen kann, eher mager ausfällt. Es kommen immer wieder neue Typen dazu, besonders überrascht war ich, als mir plötzlich eine Truppe mit Flammenwerfern zu Leibe gerückt ist – leider kämpfe ich definitiv zu lange gegen die gleichen Drohnen, ehemalige Kollegen und fiesen Roboter, bis neue Arten mit mir die Klinge kreuzen. Angenehm dafür waren kleine, aber gemeine Überraschungen – eure Gegner lernen trotz ähnlichem Erscheinungsbild auch neue Tricks, mit denen man nicht rechnet. Insgesamt fallen die Kämpfe trotzdem leichter als bei Souls & Co. aus. Unfair: Hin und wieder werdet ihr in Kämpfe mit drei bis fünf Gegnern geschmissen. Das ist nicht nur schwer, sondern auch wahnsinnig frustrierend.

Eine besondere Erwähnung müssen die Bosskämpfe erhalten: Sie laufen stets imposant ab. Die Taktiken, die ihr zum Besiegen eines Bosses benötigt, sind durch die Bande weg kreativ und passen zum restlichen Kampfsystem. Ein Beispiel gefällig? Ein riesieger Mech rennt auf zu, ihr könnt nur auf die Beine einprügeln und er nimmt offensichtlich ziemlich wenig Schaden – schafft ihr es jedoch, die Panzerung abzuschlagen, wird er einen Raketenangriff auf euch starten. Was passiert wohl, wen man unter dem Mech steht, während er seine Explosivgeschosse gen Warren feuert? Genug gespoilert, findet es selbst heraus!

Schöneres Utopia

Auf technischer Seite gibt es nichts zu Meckern. Das Spiel sieht klasse aus. Die Lichteffekte sind großartig, die Texturen fast immer knackig scharf und Rauch bzw. Gas kann auch mal die Sicht verklären. Ruckler hatte ich dennoch auf meinem Testrechner nicht ein einziges Mal, dafür flüssige, schön anzusehende 60 fps. Die Animationen sind ebenfalls große klasse, abgesehen von den abgehackten Gegnertei….. ich meinte -Animationen bei den Finishern.

Die Steuerung ist sowohl via Tastatur als auch mit dem Pad wirklich sehr genau – wobei ich mit dem Stick auf dem Pad Bewegungen noch einen Zacken präziser durchführen konnte als mit Maus und Tastatur. Auch die Tastenbelegung macht sowohl auf Tastatur als auch auf dem Gamepad einen guten Eindruck – alle wichtigen Funktionen liegen nah beieinander. Zum Start war trotzdem eine kurze Eingewöhnung nötig, da sich die Belegung doch von Dark Souls und Co. unterscheidet.

Die Soundkulisse schindet ebenso mächtig Eindruck. Da ihr die meiste Zeit ohne Hintergrundmusik unterwegs seid, füllt sich der Hintergrund mit den zischenden Geräuschen von Dampf, dem Stöhnen eurer Gegner, dem mechanischen Quietschen eures Exo-Rigs und vielen anderen kleinen Details. Wenn dann doch mal Musik einsetzt, ist sie zur Situation überaus passend – in Bosskämpfen dröhnen treibende Bässe, in dunklen Gängen gruseliges Tech-Gedudel – größtenteils elektrischer Natur, was den SciFi-Hintergrund von The Surge nochmals unterstreicht. Einziges Manko: Warum klingen die ganz klar weiblichen Kollegen von Warren trotzdem wie Männer?

Obwohl ich selten wirkliche Bugs hatte, sind ein paar Doofe dann doch in Erinnerung geblieben:  Nach dem Laden eines Spielstandes waren plötzlich keine Gegner im Komplex – Toll zum Erkunden, echt problematisch, wenn man keine Möglichkeit hat, seine Ausrüstung zu verbessern und plötzlich in der Bossarena steht. Etwas häufiger sind Drohnen in Wänden verschwunden und waren nicht mehr zu besiegen – das ist besonders ärgerlich, wenn sie mitten im Kampf mit einem anderen Gegner plötzlich aus dem Nichts wieder auftauchen.