TESTS

Tiny Trax

Carrera-Sprungbrett für VR Rennfahrer

Jan Markus Mäuer · 27. Juli 2017

“Übertrifft alle Erwartungen” wäre eine PR freundliche Beschreibung für Tiny Trax. Hauptsächlich weil alleine Screenshots alles über das Spiel zu sagen scheinen. Aber da lag ich wohl falsch Futurlab einzuschätzen, die schon mit dem Puzzlespiel Surge und den Action-Sidescrollern der Velocity Serie ihre ganz eigenen Spins in die jeweiligen Genres gesteckt haben.
Aber von vorn: Tiny Trax ist ein VR Rennspiel mit Spielzeugautos auf Miniatur-Rennbahnen a la Carrera oder Scalextric. Ein geeignetes Konzept für Virtual Reality, dessen Stärke oft darin liegt Größenverhältnisse wortwörtlich “greifbarer” zu machen. Das wird hier voll ausgespielt: Die 12 Strecken in drei Fantasythemenwelten, ein Karibik/Piratensetting, eine Berglandschaft im Kontrast zwischen Eis, Schnee, Feuer und Lava sowie außerirdische Sci-Fi Settings, sind wundervoll designte Dioramen. Man thront über den Strecken, die sich durch detaillierte und ideenreiche Sets schlängeln. Nicht nur Häuschen, Schiffswracks und Untergrundhöhlen, auch schicke Effekte lassen sich während den Rennen aus der Weite oder Nähe ansehen. Und auch das VR Tracking an sich wird für nette Gimmicks genutzt. So kann man in einer Strecke seinen Kopf quasi unter Wasser stecken und nimmt die Umgebung entsprechend verschwommen wahr.
Auch die Strecken selbst sind fantastische Konstruktionen, die schnell auf verrückte Weise eskalieren. In VR füllen sie mehr als das gesamte Blickfeld und um den Überblick zu halten, muss man sein eigenes Fahrzeug aktiv mit dem Headset verfolgen. Garnicht so einfach, die Strecken kreuzen nicht nur mehrere Ebenen, schnell wandern sie Wände hoch oder laufen sogar mal an einer Höhlendecke entlang.
Besonders unterhaltsam, wenn auch spielerisch wenig hilfreich, ist es mithilfe der in den Optionen einstellbaren Perspektive den eigenen Blickwinkel besonders nah an die Strecke oder in seltsame Positionen zu setzen. Es ist unpraktisch, aber so kann man die sehr plastisch wirkenden Fahrzeuge und Objekte aus nächster Nähe vorbeiflitzen sehen.

So weit so gut, doch wirklich unerwartet ist das Gameplay. Die kleinen Spielzeugrennbahnen versprechen ein sehr simplifiziertes Rennerlebnis. Soweit nicht direkt falsch, es ist gegenüber “echten” Rennspielen etwas schlichter gehalten und man ist immer fest an eine der zwei Spuren gebunden, aus der die Strecken bestehen. Doch anders als bei den aus der Kindheit bekannten Carrerabahnen, wo das Fahren hauptsächlich daraus besteht, den Gashebel behutsam zu regulieren um so schnell wie möglich durch Kurven zu kommen ohne aus diesen herauszufliegen, ist das ganze hier doch ein ganzes Stück anders. Aus Kurven herauszufallen ist kein Problem, doch muss man hier in die Kurven lenken, oder besser gesagt driften, um ohne zu stocken voran zu kommen. Dabei muss man jedoch behutsam mit dem Analogstick umgehen, denn nicht nur kann man auch übersteuern und so Zeit und Geschwindigkeit verlieren: Trifft man in der Kurve einen “Sweetspot” beim Einlenken, füllt sich ein Boost mit dem man besonders schnell über die Strecke rast. Auch kann man zwischen den beiden verfügbaren Spuren der Strecke wechseln: Geht man Kurven an der äußeren Spur an, bewahrt man mehr Beschleunigung und kann etwas mehr Boost füllen, die Innenspur ist jedoch schneller. So fordert das Spiel anders als die meisten “Funracer” viel Finesse und Konsistenz, etwas, was man so mehr bei simulationslastigen Rennspielen kennt. So ist Tiny Trax eine sehr eigene, innovative Interpretation von Rennspielen, die herausfordernder und involvierter ist als es die bunte Präsentation zeigt.

Womit wir zu der größten Überraschung des Spiels kommen: Das Spiel ist SEHR herausfordernd und zumindest was meine persönliche Erfahrung angeht, knackig schwer. Die KI im Spiel ist erbarmungslos, und ab der ersten Minute möchte das Spiel gemeistert werden. Nur wer sauber fährt, seinen Boost konstant aber dennoch überlegt einsetzt und sich keine Patzer erlaubt hat eine Chance das Rennen gegen den Computer zu gewinnen. Der hohe Anspruch, die prominenten Leaderboards und die (zugegebenermaßen willkommene) Sache, dass Kollisionen mit anderen Fahrzeugen nicht vorhanden sind, enthüllt das Spiel als eine Herausforderung nach Perfektion gegen die Uhr. Dennoch, so ins kalte Wasser geworfen zu werden was den Schwierigkeitsgrad angeht kann frustrieren. Es ist schon ein Kampf, nicht letzter zu werden, und auch wenn der Schwierigkeitsgrad den Wiederspielwert steigert wäre ein einfacherer Schwierigkeitsgrad für kleinere Erfolgserlebnisse wünschenswert gewesen.
Eventuell wird hier der robuste aber schlichte Online Multiplayer etwas Erleichterung liefern, leider konnte ich diesen vor offiziellem Release des Spiels nicht konkret testen. Angesichts des Konzepts des Spiels wäre auch ein lokaler Multiplayer willkommen gewesen, auch wenn es nicht ganz in das Virtual Reality Spiel passt. Dennoch, die Nostalgie die das Spiel mit seiner Carrerabahn Ästhetik herauskitzelt erinnert eben auch daran, mit Freunden zu Spielen die im selben Raum sind.

Auch der Umfang trübt die Stimmung ein bisschen. Die 12 Strecken sind mit dem schnellen Gameplay recht bald durchgespielt und auch wenn jede Strecke eine eigene Identität und viele tolle Details hat, wäre selbst “Füllmaterial” etwas gewesen was die Spieldauer für ungeduldige Naturen hätte strecken können, falls man nicht daran interessiert ist jede Strecke perfekt zu meistern. Und auch wenn es sicher langweiliger wäre als Futurlabs ausgefallene Sets, das nicht zumindest eine Rennstrecke innerhalb eines Kinderzimmers oder eines realistischen Semi-Professionellen Meisterschaft-Setups ist fühlt sich wie eine Verschwendung nostalgischer Gefühle an.