TESTS

Vampyr

Weck den Vampyr in dyr

Jan Markus Mäuer · 2. Juli 2018

Ein Rollenspiel, in dem man als Kreatur der Nacht die Welt der Menschen und die geheime Welt dahinter navigiert, sich mit politischen Intrigen herumschlägt und hin und wieder unfreiwillige Blutspenden eintreibt? Das wird einige aufhorchen lassen: Dies klingt sehr nach Vampire The Masquerade: Bloodlines. Die Rollenspieladaption aus dem White Wolf Universum vom leider längst geschlossenen Studio Troika ist der Inbegriff eines Kulthits: Das erste Source Engine Spiel, geplagt von Bugs und Schwächen im Kampfsystem, aber auch voller Brillanz: Eine einzigartige Atmosphäre, eine wendungsreiche und gut geschriebene Story mit interessanten Entscheidungen und interessanten spielerischen Möglichkeiten. So hatte die Wahl der Klasse (eher Rasse) und Stats einen signifikanten Einfluss auf das Spiel, nicht nur in Kämpfen, sondern auch der Art wie man mit Charakteren interagiert, Konfrontationen provoziert oder umgeht und teilweise sogar von Grund auf das Spiel transformiert. Und so hat das Spiel trotz seines Misserfolgs und dem Untergang von Troika Games eine große Fangemeinde geerntet, die teilweise sogar noch ein Jahrzehnt nach Erscheinen des Spiels mit “Fan Patches” nicht nur selbiges verbessert, sondern auch unfertige und herausgeschnittene Inhalte wiederbelebte.

Entsprechend ist Vampyr, ein Spiel das nicht nur thematisch ähnlich ist, sondern ebenfalls einige spannende Ambitionen beherbergt, für eben diese Fans besonders spannend. Leider jedoch erscheint mir das Potenzial nicht genug für einen neuen Kulthit. Vampyr ist kein neues Vampire The Masquerade: Bloodlines.

Aber von vorn: Im von den Nachwehen des ersten Weltkriegs sowie der spanischen Grippe geplagten London hat der Kriegsveteran, Doktor und renommierter Chirurg Jonathan Reid einen besonders schlechten Tag. Nicht nur erwacht er als neugeborener Vampir in einem Massengrab, sofort wird er von selbsternannten Vampirjägern gejagt. Und sei dies nicht genug, tötet Jonathan in seinem blinden Blutdurst seine geliebte Schwester. Zu seinem Glück im Unglück jedoch findet der vampirische Doktor schnell Verbündete, die ihm grundsätzliche Fragen beantworten und ihm ein Alibi verschaffen. Unter dem Deckmantel als Arzt im heruntergekommenen Pembroke Krankenhaus macht es sich Jonathan so zum Ziel nicht nur herauszufinden, von wem und weshalb er zum Vampir gemacht wurde, sondern sucht auch nach einer Heilung für eine Plage, die die Stadt heimsucht, die weit gefährlicher ist als ein Grippevirus.

Wie man es in einem Spiel von DONTNOD (den Entwicklern vom gefeierten Life is Strange sowie dem ambitionierten, aber genauso enttäuschenden Remember Me) erwarten würde, wird hier viel Wert auf die Handlung gelegt, die eine der Hauptattraktionen des Spiels ist. Und tatsächlich liefert Vampyr eine spannende Geschichte mit interessanten Charakteren in einem recht unverbrauchtem Setting.  Der Plot ist ziemlich dick aufgetragen und voller überspielter Melancholie, aber angesichts der Atmosphäre des Spiels, die stark an gotischen Horror angelehnt ist, funktioniert das ganze dennoch ganz gut. Bedauernswerter ist, dass in der zweiten Hälfte des Spiels der Fokus des Spiels von Jonathans inneren Kampf mit seinem neuen düsteren Dasein wegdriftet hin zu einem weitaus generischen Krieg zwischen drei Fraktionen um die Existenz Londons, Englands und…ihr wisst schon.

Dennoch bleibt die Geschichte interessant und ich hatte unerwartet viel Spaß, in die Rolle des Protagonisten zu schlüpfen, nicht nur in seinem Dasein als potenziell sinistren Vampir, sondern auch seinem Status als anerkannten Doktor, was von sich aus den Dialogoptionen eine gewisse Autorität bringt.

Vampyr liefert die zu erwartende Atmosphäre in der Präsentation und brilliert hier besonders beim Sound: Die englischen Sprecher liefern überspitzte, aber durch die Bank weg einwandfreie Performances (Jonathan Reids gequälter Seelenschmerz ist EXQUISIT) und ein großartiger Soundtrack liefert viel zum Schauermärchen-Feeling des ganzen.

Zudem sind da die angesprochenen Ambitionen, mit denen Vampyr die moralischen Entscheidungen des finsteren Vampir-Daseins mit Auswirkungen auf das Spielgeschehen verbindet. Generell geht es hier um das Wohlbefinden Londons, repräsentiert durch ein Ensemble an NPC Charakteren. Diese Charaktere können allesamt zur Befriedigung des eigenen Blutdursts getötet werden (zumindest sobald der Spielfortschritt dies erlaubt) oder unterstützt werden, in dem man ihn zum Beispiel mit selbst-gecrafteter Medizin von geringeren Erkrankungen heilt. Das Spiel richtet einen nicht dafür was man tut (zumindest bis zum Ende des Spiels), aber jede Entscheidung bringt Konsequenzen mit sich. So bringt ein getöteter NPC massive XP Boni mit sich, die oftmals größer sind als das was man durch Quests und Kämpfe verdient. Tatsächlich ist so der Schwierigkeitsgrad durch die eigene Moral bestimmt. Andererseits verschwindet natürlich so der Charakter, und alle potenziellen Infos oder gar Nebenquests. Und das hat dann auch weitreichendere Folgen: So beeinflussen die eigenen Entscheidungen und das Wohlbefinden auch den Gesamtzustand der Distrikte im Spiel. Fällt dieser unter einen kritischen Level, ist der Teil der Spielwelt umso mehr von Monstern überrannt NPCs erkranken oder verschwinden gleich komplett.

Spannende Ideen, die ein gefühltes Forcieren eines allzu binären Gut/Böse Pfads zurückhalten und Interessante moralische und spielerische Überlegungen präsentieren, vor allem wenn man sich dann nicht mehr fragt, OB man tötet, sondern WEN. Zusätzlich werden Entscheidungen über Hauptcharaktere im Spiel, die man im Laufe des Spiels treffen muss, umso gewichtiger. Hier wird kein Blatt vor den Mund genommen und eine “Herzensentscheidung” kann unerwartete und drastische Konsequenzen haben. Schade nur, dass hier die Verkettung zwischen Handlung und Spiel sich da ein wenig selbst im Weg steht: Manche Charaktere lassen sich nur sehr spät “erledigen” wenn deren Nutzen für den Plot definitiv aufgebraucht ist, und die Weise, wie gefundene Anhaltspunkte sowie das gesundheitliche Wohlbefinden bei Charakten den potenziellen XP-Gewinn beeinflussen, provoziert das Spiel ein “Abgrinden” von gerade den Charakteren, die man eigentlich loswerden will.

Und so sehr der durch Dialogentscheidungen “justierte” Schwierigkeitsgrad eine coole Idee ist, so sehr wird es auch ein Problem wenn man über das gigantische Problem des Spiels spricht: Das Kampfsystem.

Gekämpft wird überwiegend gegen radikale Vampirjäger sowie “Skals”, geringere Vampire die wie tollwütige Zombies in London herumwüten. Spielerisch liegt das ganze im Vergleich irgendwo zwischen dem Souls-artigen, aber schnellerem Bloodborne und dem etwas weniger eleganten aber durch Skills und Items bereicherten Kämpfen eines The Witcher 3. Qualitativ kommt es aber an beide nicht mal ansatzweise.

Hat man sich durch den in dieser Hinsicht zähen Anfang gequält und Jonathans Ausdauer aufgebessert und ihn mit ein paar mystischen Fähigkeiten ausgestattet, ist das ganze Zeitweise noch unterhaltsam wenn es darum geht, den richtigen Rhythmus gegen einen Gegner zu finden und seine Optionen geschickt einzusetzen. Diese Freude vergeht jedoch schnell, wenn man über die doch sehr holprige Eskalation des Schwierigkeitsgrads stolpert, die mit der Zeit Kämpfe entweder so absurd einfach machen, dass Finesse kaum benötigt wird….oder man geradewegs gegen eine Skill-Level-Mauer läuft. Zwar driftet Zweiteres nie ganz ins unmögliche ab und erhöht die Herausforderung, aber dann wird man umso schmerzlicher daran erinnert wie unausgereift sich das Kampfsystem anfühlt: Es mangelt sowohl an informellen als auch unterhaltsamen Feedback und wirkt des öfteren recht unresponsiv. Das für sich wäre noch das kleinere Problem, aber gepaart mit dem oftmals großen Schadenspotenzial von Gegnern und den regelmäßigen forcierten Bosskämpfen, die eigentlich wie jeder andere Kampf einen Tick zu langatmig und erschöpfend sind, entsteht her echter Frust. Man stirbt schnell und manchmal überraschend und wenngleich Tode nicht so hart bestraft werden wie in einem “Souls-like”, so sorgt zumindest der Verfall von Verbrauchsgegenständen für Heilung und Buffs dafür das man sich entweder frustriert für ein Backtracking nach Crafting Material zurückziehen muss oder sich das Leben noch schwerer macht. Schleichen und Weglaufen ist teilweise eine Option, aber oft genug sind Konfrontationen unausweichlich. Kurz: Dank einiger Kämpfe ist Vampyr eines der für mich persönlich frustrierendsten Spiele der letzten Jahre.

Dem wird nicht geholfen durch die Art, wie sich Handlung und “richtiges” Gameplay im Konflikt stehen. Nicht nur verbringt man recht lange Zeit am Stück ENTWEDER mit vielen Dialogen ODER Kämpfen. Wer das Spiel nur für die Story spielen möchte, kann auch nicht einfach den Schwierigkeitsgrad runterschrauben… außer eben man ernährt sich regelmäßig von NPCs, was dann aber eben wiederum die Auswahlmöglichkeiten und den Umfang in der Geschichte einschränkt (Sollte es tatsächlich seltsame Naturen geben, die sich für die Story wenig interessieren und die Kämpfe mögen, wird denen auch keinen gefallen getan. Man kann gut und gerne mal eine Stunde in Konversationen verbringen).

Dass das Gameplay hier krankt, ist nicht ungewöhnlich oder unerwartet, siehe das Eingangs erwähnte Vampire The Masquerade Bloodlines. Aber die Prominenz dieser Schwäche zieht Vampyr umso mehr herunter: Die Dialogoptionen und Handlungsfreiheiten sind hier dann doch zu eingeschränkt und das Kämpfen zu frustrierend. Dabei hilft auch die überraschend unterdurchschnittliche Performance des Spiels nicht. Visuell sieht es ok, aber nicht überragend aus was Dinge wie auffälliges Pop-In und optische Bugs umso auffälliger macht. Und obwohl das Spiel hier auf der vermeintlich starken PlayStation 4 Pro getestet wurde, habe ich davon nicht viel bemerkt, dank regelmäßiger Slowdowns sowie dem sehr langsamen streamen von Daten, das das Spiel mit einem Notfall-Ladebildschirm einfrieren lässt, wenn man sich zu schnell durch die Distrikte bewegt. Ich kann leider nicht bestätigen, ob dies auf einer normalen PlayStation 4 verschlimmert wird, auf beiden Hardware Versionen erscheint mir das ganze jedoch nicht akzeptabel.