SPECIALS

Der schmale Grat von Spec-Ops: The Line

Über den bekanntesten und wichtigsten Moment des Spiels…und den, der es richtig macht.

Jan Markus Mäuer · 23. Januar 2020

Vor einigen Monaten habe ich eine Ankündigung bezüglich des neuesten Call of Duty: Modern Warfare (nicht zu verwechseln mit dem ältesten Call of Duty: Modern Warfare, dem vierten Teil) genutzt um ein wenig über weißes Phosphor zu reden und dessen Einsatz als Kriegswaffe. Ich denke ich war nicht sehr subtil darin anzudeuten dass es sich bei Phosphorbomben um recht grausame Waffen handelt und das ich der Meinung bin, dass diese vielleicht in einem realitäts-nahem Kriegsspiel als Belohnung ausgegeben werden sollten. Und ich habe als Gegenbeispiel Spec-Ops: The Line angeführt, das mir, wie vielen anderen Videospiel-Symphatisanten erstmal beigebracht hat, was Phosphorbomben überhaupt sind. Ich habe es aber nur nebensächlich erwähnt (und als eine Entschuldigung genommen, den potenziellen Effekt der Waffe zu zeigen, ohne auf reale Bilder zurückzugreifen, gern geschehen, nichts zu danken), obwohl es um das Spiel und eben diese Szene einige nicht direkt kontroverse, aber strittige Diskussionen gab.

Also reden wir darüber.

(Spoiler folgen)

Da ich es lieber anderen überlasse, Spec-Ops: The Line in seiner Gesamtheit zusammenzufassen, hier nur das gröbste.

Das Spiel ist auf dem ersten Blick ein Shooter mit Deckungssystem und minimalen Taktikelementen, wie es viele zur Zeit der Veröffentlichung inmitten der PlayStation 3/Xbox 360 Ära gab. Die Ambition lag jedoch umso mehr in der Geschichte und des Setting des Spiels, die hart an Joseph Conrads “Herz der Finsternis” sowie dessen Vietnamkrieg-Quasi-Adaption “Apocalypse Now” anlehnt:
Der Spieler übernimmt die Rolle von Captain Walker, Anführer eines Drei-Mann Einsatzkommandos der US Delta Force, der nach Dubai geschickt wurde. Dubai wurde im Spiel vor kurzer Zeit durch einen verheerenden Sandsturm quasi zerstört und die USA schickte ein Armeebattalion unter Führung von Colonel Konrad, um der Zivilbevölkerung zu helfen. Stattdessen jedoch desertierte die gesamte Truppe und hatte seitdem Dubai scheinbar eigenhändig besetzt und übernommen.
So kommt es dazu das Walkers Einheit bei ihren Ermittlungen schnell mit ehemaligen Kameraden konfrontiert wird, die jetzt zu Feinden wurden und alle Bemühungen, die Situation zu lösen nur zu noch mehr Chaos führen.

Als Kriegs-kritisches Spiel (man könnte sagen “Anti Krieg”, aber da würden ich und Truffaut wiedersprechen) ist es wenig an einem Kampf von “Gut gegen Böse” interessiert sondern mehr daran, in einem apokalyptischen Szenario auf die physischen und vor allem psychischen Wunden, die ein solcher Konflikt hinterlässt, einzugehen. Manche Leute nannten Spec-Ops: The Line ein Horror Spiel in Shooter Verkleidung und tatsächlich hat es oft mehr Ähnlichkeit zu einem Last of Us als zu einem Call of Duty.

Einer der meiner Meinung nach besten Elemente des Spiels sind die kleinen Details, die zeigen welchen Preis die Situation von den Protagonisten abverlangt: Während zu Anfang Walker und seine Kameraden noch recht glattgebügelt daherkommen und Gegner mit kalter, professioneller Präzision erledigen, verdrecken und vernarben die Gesichter des Trios zunehmend. Und aus der kalten Professionalität wird wilde Rage, untermalt mit dem Geschrei von Beleidigungen und dem in die Länge gezogenem brutalen Abschlachten der Feinde.

Aber da die Prämisse nicht von subtilen Andeutungen alleine lebt, kommen wir zur vielleicht wichtigsten und meist diskutierten Szene des Spiels:
Auf dem Weg ins Stadtinnere treffen die Protagonisten auf eine schwer bewachte Barrikade. Die Situation ist hoffnungslos, und so nutzt Walker, entgegen den Protesten seines Kameraden Lugo, ein Artilleriegeschütz geladen mit weißem Phosphor, um die Barrikade zu sprengen. Aus dem hoffnungslosen Kampf wird leichtes Spiel, und schnell hat man alle Gegner, präsentiert durch eine Wärmebildkamera, weggebombt.
Die Protagonisten ziehen weiter durch die Barrikade, wo das volle Ausmaß dieses Angriffs ersichtlich ist: Weiße Rauchschwaden und Funken wehen durch die Luft, auf dem Boden verteilt sind Leichen, die bis zur Entstellung verbrannt sind, während eine Handvoll Gegner noch unter Schmerzenschreien verkrüppelt im Sterben liegt. Doch wurden nicht nur Feinde getroffen. Wie sich schnell herausstellt, suchten mehrere Dutzend Zivilisten in den Barrikaden Schutz, inklusive Frauen und Kinder. Die nun auf brutalste Weise von Walker vernichtet wurden. Und dem Spieler.

Das ist zumindest, wie das Spiel selbst es sieht. Denn dieses Ereignis ist nicht nur der Anfang von Walkers Fall in einen traumatisierten Wahnsinn, sondern auch der Punkt an dem das Spiel beginnt, durch die Meta Ebene zu brechen und scheinbar den Spieler selbst für die Greueltaten verantwortlich zu machen.

Aber…ist wirklich der Spieler dafür verantwortlich?

Sehen wir mal davon ab dass offensichtlicherweise der Spieler so oder so keine echten Menschen tötet weil wir hier von Videospielen reden und nicht von Dronenkrieg oder so, stimmt es, dass der Spieler schlussendlich dieses Ereignis in Gang setzt. Tut man es nicht, geht das Spiel nicht weiter. Entweder stirbt der Spielercharakter im nicht endenden Kreuzfeuer der Gegner oder das Spiel zwingt einen semi-automatisch zu der schlussendlichen Konsequenz.
Man tut was das Spiel von einem will. Das kann man auf der einen Seite als einen cleveren Meta Moment sehen, einer Simulation der klassischen “Ich habe nur Befehle befolgt” Verteidigung, die man in Deutschland nur zu gut kennt unter anderem durch den Mauerschützenprozess gegen Ex-DDR Soldaten, die an der Berliner Mauer auf Flüchtlinge geschossen haben. Geht man mit der Analogie voran, erhält der Spieler keine Absolution. Immerhin wurden die Mauerschützen verurteilt, trotz Anerkennung der “Täter hinter den Tätern”, und auch wenn dies Aufgrund des Dogmas des sogenannten “Befehlsnotstands” (der Täter freispricht, wenn der verbrecherische Befehl nicht ohne gegenwärtiger Gefahr fürs eigene Leben hätte verweigert werden können) durchaus eine kontroverse Entscheidung war, trifft das selbstverständlich für ein Videospiel nicht zu. Immerhin ist es keine Gefahr für Leib und Leben, ein Spiel nicht durchgespielt zu haben (sonst hätte ich echt Probleme).
Doch sind solche realen Fälle wiederum auch keine treffende Analogie, immerhin gibt das Spiel einem nicht nur keine Handlungsfreiheit, es zwingt einem diese Handlung geradezu auf wie ein Puppenspieler. Befindet man sich einmal vor dem Fadenkreuz des Phosphorwerfers, ist es nicht möglich die unschuldigen Zivilisten zu verschonen. Abgesehen davon muss das Ereignis passieren, damit die Geschichte des Spiels Sinn macht, immerhin ist dies der Punkt an dem die Psyche des Protagonisten zusammenbricht.

Aber wenn das Spiel einen zwingt, diese schreckliche Tat zu begehen, aber danach einem selbst die Schuld dafür gibt, was will Spec Ops: The Line dann?

In einem Interview nach dem Release des Spiels äußerte sich der Autor des Spiels Walt Williams zu der Szene. Hier nennt er die “Phosphor-Szene” optional, aber erkennt an, das es keinen alternativen Ausweg gibt. Eine Implikation was er damit meint findet man später im Interview, als er gefragt wird wieviele Enden das Spiel hat. Hier redet er von vier “offiziellen” Enden und einem “inoffiziellen” Ende. Letzteres sei nicht im Spiel, sondern in der Realität, wenn man sich entscheidet das man in dem Spiel nicht weitermachen kann und den Controller weglegt.
Also will das Spiel von einem, das man es nicht spielt? Das könnte man als Meta Referenz zu dem Film “Wargames” sehen, wo ein Militär-Super-Computer davon überzeugt wird keinen Atomkrieg anzufangen weil die einzige Möglichkeit ihn zu gewinnen ist garnicht erst damit anzufangen (“The only winning move is not to play”). Diese Lektion ließ sich auch exzellent in das Spiel Defcon übersetzen, worüber man auch mal reden sollte. Und es führt uns wieder zurück zu Truffaut und seiner Überzeugung das es keinen “Anti-Kriegsfilm” geben kann und jedwede kritische Message nur im voyeuristischen Spektakel verloren gehen würde.
Aber das erscheint mir unehrlich. Immerhin kennt das Spiel nicht die Intentionen des Spielers. Und da Spec Ops: The Line zu dem Zeitpunkt bereits mehr als ausreichend kritisch über die Geschichte die es zu erzählen hat ist, warum feindet es sich dann so sehr an mit den Spielern die wissen wollen welches Schlussendliche Fazit das Spiel ziehen möchte? Und sowohl aus wirtschaftlicher als auch künstlerischer Sicht lebt ein Werk davon das man sich damit befasst, also warum soll es nun richtig sein sich diesem selbst zu entziehen?

Vielleicht habe ich einen guten Grund übersehen, weshalb das Spiel den Spieler fürs Spielen beschuldigt. Aber so oder so verstehe ich die nicht kleine Spielerschaft, die sich an dieser Meta Kritik gegen sie selbst gestört haben und dies an Spec Ops: The Line bemängelt haben. Die Rechnung geht hier einfach nicht so recht auf.

Aber Spec Ops: The Line hat mehr zu bieten als diese infame “Phosphor Szene” und findet später einen besseren “Trick”, den Spieler in Mitverantwortung zu ziehen.

Viele Spielstunden nach dem zuerst genannten Vorfall, gefolgt von weiteren kritischen Momenten, zum Beispiel das man in Beihilfe mit der CIA den vermeintlichen Feinden….sowie den übrig gebliebenen Zivilisten das Trinkwasser abdreht, und zuletzt einer explosiven Helikopter-Jagd findet man sich als Walker alleine neben dem Heli-Wrack ausserhalb von Dubai wieder. Während man sich zurück in die Stadt schleppt trifft kurzerhand wieder auf einen seiner Kameraden, Adams, und kämpft sich mit ihm durch einen Sandsturm und einen ausgetrockneten Yachthafen. Hier hört man auch wieder von Lugo, den anderen Teamkameraden via Funk, doch kurz bevor man seine Position erreicht hört man, wie er um Hilfe schreit und verliert den Kontakt. 

Wenn man Lugo findet, ist dieser tot, gelyncht von zivilen Flüchtlingen. Ob diese den Kameraden mit dem “bösen” Bataillon von Konrad verwechselt haben oder nicht, ist unklar. Und als man den Leichnam birgt, bewegt sich der Lynchmob bedrohlich auf Walker und Adams zu, welcher auf Vergeltung brennt.
Tut man nichts, wird man von den Flüchtlingen gesteinigt. Game Over. Also will das Spiel offensichtlich, dass man das Feuer auf die Zivilisten eröffnet, was mit einem Archievement “gewürdigt” wird, dass man eine weitere Linie überschritten hat.
Was das Spiel einem jedoch nicht direkt sagt ist dass man die Situation entschärfen kann, in dem man über die Köpfe des Mobs hinwegschießt und diesen damit verjagt.
Wie bei der infamen Phosphor-Szene leitet das Spiel zu einer potenziell unverzeihlichen Greueltat an, doch diesmal gibt es einen Ausweg…wenn man diesen denn sieht. Und er ist recht leicht zu übersehen, angesichts dessen dass das Spiel wirkliche Entscheidungspunkte zuvor sehr viel deutlicher vorgibt und weil, nunja, schlimme Dinge tun zu diesem Zeitpunkt des Spiels Normalität geworden ist.

Sieht man von den Archievements ab, belohnt das Spiel keine der beiden Entscheidungen und man kann potenziell unbehelligt bleiben, dass man je eine Wahl hatte.
Aber das ist das was diesen Moment zu einer effizienten moralischen Entscheidung macht: Wenn er funktioniert (was, ehrlich gesagt, nie unbedingt garantiert ist), agiert man vielleicht aus Instinkt oder aus “Gewohnheit” oder folgt der offensichtlichen Anweisung. Und das ist nicht schlimm…in einem Videospiel. Aber es ist genug um sich selbst zu fragen, ob man im “realen Leben” auch oft aus denselben Gründen eine vielleicht falsche Entscheidung trifft. Hält man dagegen inne und de-eskaliert die Situation relativ gewaltfrei, wirft es eventuell die Frage auf, ob man auch anderswo hätte so agieren sollten, vielleicht sogar unabhängig davon ob es etwas nützt oder nicht.

Natürlich hat es seine Gründe warum dieser Moment weniger bekannt ist als die Phosphor-Szene. Letztere ist ein großer Wendepunkt in der Geschichte und auch deswegen unvermeidlich. Ein wortwörtlich explosiver zentraler Moment im Gegensatz zu dem unterschätzten und subtilen Flüchtlings-Mob Moment, der eben auch dadurch lebt dass man ihn hoffentlich nicht kommen sieht. Das macht es zu keinem guten Verkaufsargument und einem Moment, der gefühlt weniger Diskussionen einlädt.

Im Endeffekt ist es sehr schwer, Moralfragen in Videospielen “interaktiv” zu vermitteln. Auch wenn die besten Spiele einladen in Ihre Geschichten einzutauchen und sich näher an den Figuren zu fühlen als ein “passives” Medium ist kann, ist und bleibt es Fiktion (zum Glück, mag man sagen). Persönliche Fragen an Aktionen in Spielen zu binden hat keine Aussagekraft. Und wenn versucht wird ein moralisches Urteil über den Spieler zu machen, während man versucht das gewünschte Ergebnis zu suggerieren oder gar zu erzwingen, stellt man eher eine persönliche Fangfrage.
Aber wo Spec-Ops: The Line zeigt wie man es falsch macht, zeigt es auch, wie man mit weniger mehr erreicht. Und wenn ein Spiel statt Vorwürfe zu machen es schafft auch nur einen kleinen Zweifel zu streuen, bleibt dem Spieler das umso länger, und ernsthafter, im Gedächtnis.