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NASA’s Vision für Videospiele

Ein extravaganter Ausflug in die Frage, was Videospiele für die Raumfahrt leisten können.

Ronja Stobrawe · 8. Mai 2017

Im Februar fand wieder das DICE Summit in Las Vegas statt, dieses Mal mit einem besonderen Gast: Dr. Jeff Norris der NASA stand mit dem Entwickler Blackbird Interactive auf der Bühne und erzählte von der geschichtlichen Verbindung zwischen NASA und der Kunst und der Vision, die die Raumfahrtorganisation für Videospiele als Kunstform hat. In diesem Zusammenhang stellte Norris Project Eagle vor, ein Spiel, das von Blackbird Interactive in Kooperation mit der NASA entwickelt wird.

Jeff Norris‘ Vortrag bietet viel mehr als nur die Vorstellung eines Spiels: er gibt Einblicke in den Zusammenhang zwischen Kunst, Videospielen und der NASA. Er erklärt, wie Videospiele tatsächlich künstlerische Beiträge leisten können und worin deren Macht als Motivator und Inspirationsquelle liegt. Daher möchte ich in diesem Artikel weiter ausholen, um das Interesse der NASA an der Kunst zu erklären und letztendlich das nicht ausgeschöpfte künstlerische Potential von Videospielen.

If you’d like games to be recognised as a great form of art, I’m afraid that some of you, not all of you, are going to need to step it up. (Dr. Jeff Norris)

NASA steht für wissenschaftlichen Fortschritt und Erkundung von all dem, was jenseits unserer Erde liegt. Nicht ganz so offensichtlich ist jedoch auch, dass NASA schon seit vielen Jahren aktiv Kunst fördern – speziell Kunst, die sich mit dem Weltraum beschäftigt, egal, wie fiktional. Diesem Leitfaden folgt auch die europäische Schwesteragentur ESA, gerade aktuell mit der wandernden Kunstausstellung Our Place In Space. Heutzutage dient diese Initiative insbesondere dazu, Zukunftsvisionen der Raumfahrt und Interesse an der Weltraumforschung zu wecken und zu fördern.

Tatsächlich verdankt die National Aeronautics and Space Administration ihre Existenz teilweise der Kunst: Bilder von Vorreitern in der Weltraumkunst wie Chelsey Bonestell wurden von Wissenschaftlern wie Wernher von Braun gezielt genutzt, um die Öffentlichkeit vom Nutzen und den Möglichkeiten der Raumfahrt zu überzeugen – insbesondere den damaligen Präsidenten Eisenhower. Bonestells intergalaktische Gemälde sind jedoch nicht nur rein fiktional: sie basieren so weit es mit den damaligen technologischen Möglichkeiten hergaben auf wissenschaftlichen Daten und sind in enger Kooperation mit Astronomen entstanden. Wo die Wissenschaft fehlte, wurde mit Vorstellungskraft ergänzt – und das in einer Zeit, in der überhaupt erst die ersten Bilder der Erde von oben entstanden sind. Ganz so romantisiert waren die Beweggründe für die letztendliche Gründung jedoch definitiv nicht, wenn man bedenkt, dass die USA zu dieser Zeit mit den Soviets im kalten Krieg waren. Die Ursprünge der NASA waren aufgrund der potentiellen Bedrohung durch die Sputnik der Soviets dementsprechend nicht ganz so zivil, wie angepriesen.

„Saturn as seen from Titan“, Chelsey Bonestell

Die Kunst war und blieb für die NASA jedoch nicht nur ein Werbemittel: die Organisation nutzte ihr Potential als mächtiges öffentlichkeitswirksames Werkzeug zur Motivation und Inspiration. Darum wurde in den 60ern eine künstlerische Initiative (NASA Art Program) gestartet, die auf Weltraumkunst ausgelegt war und namhafte Vertreter wie Andy Warhol anzog. Über die Jahre hinweg wurden immer wieder Kunstprojekte initiiert oder gefördert – bis heute.

An diesem Punkt vermischt sich die künstlerische Hintergrundgeschichte der Raumfahrt mit der gefühlt ebenso alten Diskussion, ob und inwiefern Videospiele Kunst darstellen. Es gibt kaum ein anderes Medium, das so viele bekannte Darstellungsformen in sich verbindet – Grafik, Film, Musik, Literatur. In welcher Hinsicht sind Videospiele also künstlerisch wertvoll: in Gestaltung (Ori and the Blind Forest, Limbo…), oder vielleicht in Erzählung (The Stanley Parable…)? Oder kommt es schlicht und einfach auf die Thematik des Spiels an? Auf diese Frage nach Videospielen und der Kunst soll dieser Artikel daher gar nicht weiter eingehen, da sie so schnell nicht beantwortet werden kann und wird. Stattdessen soll er eher darstellen, wie sie motivieren und inspirieren können – und insbesondere, was Dr. Jeff Norris sich von Videospielen in Bezug auf die Weltraumforschung erhofft.

Andy Warhols Beitrag zum NASA Art Program

Die NASA, ESA und weitere Raumfahrorganisationen haben schon früher ihren Beitrag zur Entwicklung von Videospielen geleistet: die NASA hat Pläne für existierende Raumschiffkomponenten zum Kerbal Space Program beigesteuert, Raumschiffe und Equipment in Call of Duty: Infinite Warfare wurden mit Hilfe von NASA Beratern entwickelt und BioWare hat von der ESA Geschichtsunterricht in Raumfahrthistorie bekommen, welche sie in Mass Effect: Andromeda als Informationen auf der Nexus und als Codexeinträge eingebracht haben – und das sind nur einige aktuellere Beispiele. Mit Spielen wie Starlite, einem ausgewachsenen MMO und dem VR-Erkundungstitel Mission:ISS hat NASA auch bereits eigene Projekte auf den Games-Markt gebracht.

Das Problem liegt laut Dr. Jeff Norris jedoch nicht an der mangelnden Bandbreite an Science Fiction-Titeln und Spielen mit Raumfahrt, sondern an der fehlenden Erreichbarkeit des Dargestellten. In anderen Worten: in diesem Genre gibt es zu viel Unterhaltung und zu wenig Realismus. Viele der erschaffenen Szenarien und erzählten Geschichten sind zwar unglaublich fesselnd und immersiv, jedoch überwiegt der Fiction-Anteil den der Science – was nicht wissenschaftlich belegt werden kann, wird durch das Unerklärliche oder eine höhere Macht abgefertigt. Das wertet solche Titel als Unterhaltungsmedium in keiner Weise ab, jedoch bieten sie keinerlei Ausblick auf etwas Erreichbares, etwas Erstrebenswertes.

You see, great art, doesn’t just move us as individuals, it can move entire societies. (Dr. Jeff Norris)

Norris bewundert gerade diesen Aspekt an den Kunstwerken von Bonestell: er füllte existierende Lücken in der Wissenschaft durch Kreativität, erschuf jedoch immer etwas, was erreichbar erschien und worauf die Menschheit hinarbeiten kann. Etwas, was Träume für die Zukunft und Interesse an der Raumfahrt, Raumforschung und wissenschaftlichen Fortschritt weckt. Diese Gemälde waren einer der Motivatoren zur Gründung der NASA – und es sind „nur“ Gemälde. Wir haben nun die technologischen Möglichkeiten, etwas derartiges in einem viel eindrucksvolleren und immersiveren Medium zu schaffen: Games. Vielleicht sollten mehr Entwickler nach einem Motto wie „Dream big, but realistic“ arbeiten.

Screenshot der Algenbecken in der Project Eagle Demo.

Das eingangs erwähnte Studio Blackbird Interactive (Homeworld: Deserts of Kharak) wurde im Januar diesen Jahres von Dr. Jeff Norris kontaktiert, um ein interaktives Modell zu erschaffen, das den geistigen Nachfolger von Chelsey Bonestell antreten kann. Das Projekt ist an immer konkreter werdende Vorstellungen der Marsbesiedlung (nicht nur der NASA, auch Organisationen wie SpaceX) angelehnt und soll jetzige und kommende Generationen zum Traum einer Kolonie abseits der Erde inspirieren: Kolonialisierung anderer Planeten könnte bereits innerhalb von Jahrzehnten, nicht Jahrhunderten stattfinden. Dabei ist Project Eagle herausgekommen, in dessen Fokus eine Marskolonie nahe der ursprünglichen Landezone von Curiosity im Jahre 2117 steht. Es handelt sich um eine hyperrealistische Simulation, deren Umgebung auf Satellitenbildern des Mars Reconnaissance Orbiters basiert. In der Vergangenheit haben auch schon andere Spiele (Homeworld, Mass Effect und weitere) auf bestehende Bilder von NASA Satelliten oder dem Hubble Telescope zurückgegriffen, um glaubwürdige Szenarien zu erschaffen.

Wissenschaftler der NASA haben Daten und Informationen zu materiellen Bedingungen und Möglichkeiten der menschlichen Besiedlung des roten Planeten beigetragen. So gibt es robuste Erkundungsfahrzeuge, Algenbecken zur Sauerstofferzeugung, einem Kraftwerk, einer Landezone und weiteren überlebenswichtigen Einrichtungen, die eine extraterristische Kolonie braucht. Blackbird Interactive haben diese Informationen mit ihrer Engine, die sie bereits für Homeworld eingesetzt haben, umgesetzt.

Was bedeuten Norris‘ Visionen und der Beweis deren Umsetzbarkeit mit Project Eagle nun für andere Spiele, insbesondere Science Fiction Games? Erstmal, nichts. Die Spielebranche hat keinerlei Verpflichtung, Ideologien der NASA oder allgemein des wissenschaftlichen Fortschritts darzustellen. Ein SciFi-Spiel mit hohem Unterhaltungswert und wenig Sci verliert deshalb nicht an Wert. ABER aus diesem Projekt tatsächlich keine Inspiration zu ziehen, verschwendet das unglaubliche Potential von Spielen, Menschen zu beeinflussen. Kein anderes (Unterhaltungs-)Medium kann auf so viele Art und Weisen Menschen ansprechen und zu Ideen und Träumen anregen – nur wird dieser Aspekt zu häufig komplett außer Acht gelassen. Wo in den 40er Jahren ein Maler und ein Wissenschaftler durch Bilder die Bevölkerung von der Reise zum Mond so begeistern konnten, sodass sie wenige Jahre später tatsächlich umgesetzt wurde, könnten Spiele noch deutlich mehr Einfluss wirken und Zukunftsvisionen zeichnen, die in der momentan eher dystopisch wirkenden geopolitischen Lage zu leicht untergehen. Sie könnten da Hoffnung auf langfristige Ziele geben, wo ein gewisse Möchtegern-Demagogen nur einen schnellen persönlichen Erfolg ohne Zusatzkosten sehen wollen.

tl;dr: Inspiration und Zukunftsvisionen waren schon immer die treibende Kraft hinter jeder menschlichen Innovation. All diese Motivationen und Ideen müssen vermittelt werden – und Videospiele sind dazu das beste Werkzeug unserer Zeit.