TESTS

Another Sight

Fantasievoller Abwärtstrend

Jan Markus Mäuer · 16. Oktober 2018

Ich weiß auch nicht wie es passiert ist, aber scheinbar bin ich der lokale Gamondo Experte für simulierte Blindheit in Videospielen. Erst Perception, dann Stifled, jetzt Another Sight, ein Sidescroll-Adventure-Mix von Lunar Great Wall Studios für PlayStation 4, PC, Xbox One und Switch, inspiriert von Neil Gaimans Neverwhere.

Glücklicherweise jedoch lässt Another Sight einen nicht ganz im Dunkeln tapsen. Denn zum einen ist die nach einem Sturz in den wortwörtlichen Londoner Untergrund scheinbar erblindete Kat nicht alleine unterwegs, sondern hat einen Begleiter in Form der mysteriösen spielbaren Katze Hodge. Und zum anderen hat man Kats veränderte Wahrnehmung angenehm ausgefallen in Szene gesetzt. In der Perspektive des Mädchens verschwimmen die Details der Umgebung die nicht komplett ausgeblendet werden zu einem Wasserfarben-artigem Gemisch und auch wenn jedwede geräuschlose Kulisse die nicht im direkten (hier recht wortwörtlich visualisiertem) Umkreis von Kat in Dunkelheit gehüllt wird, lassen Geräusche Teile davon wieder in bunten Farben erstrahlen. Es ist ein recht surrealer und imposanter Look, der durch das “reguläre” Kulissendesign gut gestützt wird.

Denn auch wenn man als Hodge die Welt “normal” wahrnimmt, gibt es viele interessante visuelle Details und ansprechende Designs, die zwar von Neil Gaimans Untergrund-Fantasie inspiriert sein mögen, aber glücklicherweise nicht grobschlächtig übernommen wurden. Gut, hin und wieder sind die Tunnel, Kanalisationen und Höhlen die man erkundet einfach nur das, doch die meiste Zeit wahrt Another Sight einen prägnanten Look.

Spielerisch erinnert das ganze ein wenig an die Spiele von Playdead, Inside und Limbo sowie Little Nightmares, ist aber weit weniger zynisch und morbid als diese Spiele. Nach Kits Unfall sucht sie mit Hilfe von Hodge sowohl einen Ausgang aus der immer seltsameren Untergrundwelt als auch ihren Vater, der sich ebenfalls irgendwo dort befinden muss. Zu ihrer Überraschung findet sie jedoch allerhand andere Personen: Another Sight spielt im Jahre 1899, am Ende der viktorianischen Ära und bringt allerhand bekannte Persönlichkeiten aus der Zeit mit, z.B. Claude Monet, Debussy sowie die liebsten Rivalen der Nerd-Welt, Thomas Edison und Nikola Tesla. Sie alle haben einen geheimen Unterschlupf unter London und haben allesamt Interesse an einer seltsamen Energiequelle, die man hier unter der Stadt findet. Es ist alles in allem eine recht charmante Geschichte, die zwar nicht von tragischeren Elementen, hauptsächlich in den Hintergrundgeschichten der Charaktere, zurückschreckt, aber dennoch einen positiveren, leicht märchenhaften Vibe hat.

Auch das Gameplay selber vermittelt eher ein eher exploratives, entspanntes Feeling und Pacing. Nebst kleineren Ausflügen in Stealth und Jump n’ Run Passagen dominieren lockere, aber vergleichsweise dennoch involviertere Adventure-Puzzle.

Jedoch wird aus dem “relaxten” Spielfluss schnell eine Geduldsprobe. Es ist auf den ersten Blick kein wirklicher Makel, entwickelt sich jedoch zunehmend zu einem Störfaktor. Sehr viel was man in dem Spiel tut zieht sich gefühlt wie Kaugummi. So müssen Hodge und Kat stets individuell gesteuert werden, so dass nicht selten Passagen zweimal durchlaufen werden müssen. So wird der Anfangs recht clevere Touch, dass Kat, blind wie sie ist, sich nur langsam in unbekannten Gefilden voranbewegt und für Dinge wie Sprünge einen Fixpunkt braucht mit der Zeit zu einem Störfaktor wenn man eigentlich nur weiterkommen möchte. Backtracking steht ebenfalls an der Tagesordnung und sind nicht selten ein schlichtes Vor- und Zurück ohne spielerischen Mehrwert.

Es klingt wie ein pedantischer Kritikpunkt. Aber wenn man mit Kat eine Minute verbringt um schwere Kisten von A nach B zu schieben oder in einem seltsamen Tandem Hodge und Kat einfach nur zum selben Ort bringen will, fängt man schnell an die Feinheiten eines straffen Leveldesigns & Quality of Life Features zu schätzen (nebst dem effizienten setzen von Checkpoints, was hier nicht immer gegeben ist). Vorallem, wenn sich so jeder Fehler in nicht immer einwandfrei zu steuernden kritischen Passagen so gefühlt doppelt abgestraft wird.

 

In Fairness, Patches seit der Veröffentlichung beweisen das Lunar Great Wall da Probleme erkennt und gewillt ist nachzukorrigieren. Doch wünscht man sich so auch, das hier vielleicht mehr Vorarbeit geleistet worden wäre.